Die Standardkonzeption der Identität sagt aus, dass Identität diejenige Relation ist, in der jede Entität zu sich selbst und zu keiner anderen Entität steht:
SK: aRIb ⇔ a = b
In den letzten Jahrzehnten wurden aber alle Versuche, den Identitätsbegriff zu definieren, einer grundsätzlichen Kritik unterzogen. Identität, so der Kern der Kritik, ist eine nicht-weiter analysierbare Relation. Dinge oder Eigenschaften sind entweder identisch oder sie sind es nicht. Auf die Frage "Warum sind F und G identisch?" gibt es keine informative Antwort. Und deshalb gibt es auch keine Kriterien, die Eigenschaften erfüllen müssten, um identisch zu sein. Fragen kann man sich nur, wie man feststellt, ob Dinge oder Eigenschaften identisch sind.[1]
Es werden gemeinhin verschiedene Formen der Identität unterschieden:
1. qualitative Identität und numerische Identität
2. notwendige Identität und kontingente Identität
3. absolute Identität und relative Identität
4. synchrone Identität und diachrone Identität
Die erste Unterscheidung ist vorerst die wichtigste. Es gilt:
Ø a und b sind qualitativ identisch, gdw. a und b das gleiche Ding sind.[2]
Ø a und b sind numerisch identisch, gdw. a und b dasselbe Ding sind.
Also: Wenn a und b qualitativ identisch sind, haben wir es mit zwei Dingen zu tun. Sind aber a und b numerisch identisch, haben wir es mit einem Ding zu tun.
Wenn Philosophen von "Identität" sprechen, meinen sie meistens numerische Identität. Statt "a ist numerisch identisch mit b", kann man schreiben "a = b".
Numerische Identität zeichnet sich durch die folgenden Eigenschaften aus:
a. Reflexivität: x = x (sprich: alles ist mit sich selbst identisch).
b. Symmetrie: x = y → y = x (sprich: Wenn A mit B identisch ist, dann ist auch B mit A identisch).
c. Transitivität: x = y & y = z → x = z (sprich: Wenn A mit B und B mit C identisch ist, dann ist auch A mit C identisch).
d. Ununterscheidbarkeit des Identischen: x = y → ∀F [F(x) ↔ F(y)] (sprich: Wenn x mit y identisch ist, dann stimmt x in allen Eigenschaften mit y überein)
Die Eigenschaften a. bis c. dürften einfach verständlich sein. Wenn eine Relation diese drei Eigenschaften besitzt, dann ist es eine Äquivalenzrelation: "a ⇔ b". Die Eigenschaft d. wird im nachstehenden Abschnitt näher erklärt.
Das Leibniz-Prinzip der Identität des Ununterscheidbaren (PIU: principium identitatis indiscernibilium) besagt, dass falls für jede Eigenschaft F gilt, dass Objekt x sie hat, genau dann wenn y sie auch hat, dann sind x und y identisch.
Das PIU wird traditionell als Prinzip intrinsischer und monadischer (einstelliger) Eigenschaften formuliert und geht auf Gottfried Wilhelm Leibniz zurück:
„Gleichwohl müssen die Monaden gewisse Qualitäten haben, sonst wären sie nicht einmal Seiende.
Und wenn die einfachen Substanzen sich nicht durch ihre Qualitäten unterscheiden, gäbe es kein Mittel, sich einer Veränderung in den Dingen bewusst zu werden […] Monaden ohne Qualitäten wären
ununterscheidbar.“
- Gottfried Wilhelm Leibniz: Monadologie §
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Die formale Notation des Leibniz-Prinzips PIU: ∀x∀y∀F: (Fx ↔ Fy) ➝ x = y
Lies: Für alle Eigenschaften F und Objekte x, y gilt: Wenn x die Eigenschaft F dann und nur dann hat, wenn y F hat, dann ist x mit y identisch.[1]
Kritik 1: Diese Notation ist problematisch. Denn wenn jedes Objekt nur mit sich selber identisch ist, warum verwenden wir dann zwei Variablen "x" und "y"?
David Lewis hat deshalb vorgeschlagen, PIU kontrafaktisch zu formulieren:
„Identity is utterly simple and unproblematic. Everything is identical to itself.
Everything is identical to itself; nothing is ever identical to anything else except itself. There is never any problem about what makes something identical to itself; nothing can ever fall to
be. And there is never any problem about what makes two things identical: two things never can be identical.“
- David Lewis: On the Plurality of Worlds (1987), S. 192 - 193
Die Lewische Formulierung des Leibniz-Prinzip der Ungleichheit des Verschiedenen (PIU2) besagt, dass falls x und y verschieden sind, dann exist-iert wenigstens eine Eigenschaft, die eines der Objekte hat und das andere nicht.
Die formale Notation des Leibniz-Prinzips PIU2: ∀F¬∃x,∀y: (x ≠ y) ⋏ (Fx <-> Fy)
Lies: Für alle Eigenschaften F und Objekte x, y gilt: Wenn x wenigstens eine Ei-genschaften besitzt, die y nicht besitzt oder umgekehrt, sind x und y verschieden.
PIU2 ist PIU1 vorzuziehen. Denn es ist logisch äquivalent zu PIU1, umgeht jedoch dessen Problem, für ein und dasselbe Objekt zwei Variablen einzuführen.
Max Black hat folgenden Einwand gegen PIU erhoben:
„Isn´t it logically possible that the universe should have contained nothing but two exactly similar spheres? We might suppose that each was made of chemically pure iron, hat a diameter of one
mile, that they had the same temperature, color, and so on, and that nothing else existed. Then every quality and relational characteristic of the one would also be a property of the
other.“
- Max Black: The Identity of Indiscernibles (1952)
Black geht davon aus, dass alles im Universum aus zwei eigenschaftsgleichen Eisensphären besteht. Zusätzlich scheint er vorauszusetzen, dass die Raumzeitstelle nicht zur Individuation der beiden Sphären herangezogen werden kann. Eine solche Voraussetzung ist beispielsweise in einer Welt erfüllt, in der der Raum relational ist. Der Relationalismus besagt, dass der Raum nichts als die Menge möglicher Objektrelationen ist und es deshalb auch keinen leeren Raum geben kann. Raumzeitliche Lokalisation ist deshalb nur eine relationale, und nicht wie vom PIU traditionell gefordert intrinsische Eigenschaft der beiden Sphären.
Black beschreibt hier eine widerspruchsfrei denkbare mögliche Welt. In dieser ist PIU offenbar verletzt. Folglich ist die Verletzung des PIU logisch möglich bezie-hungsweise PIU beschreibt keine metaphysische Notwendigkeit.[4][5][6]
Damit wird der Status von PIU als metaphysisches Grundprinzip unterminiert.
Einige Philosophen der Physik behaupten, dass PIU nicht einmal physikalisch wahr ist. Die Allgemeine Relativitätstheorie weist unterschiedlichen Raumzeitpunkten nicht unterschiedliche intrinsische Eigenschaften zu.[7] Und in der Quanten-statistik ist oftmals keine Objektindividuation aufgrund intrinsischer Eigenschaften möglich.[8] Das PIU scheint somit auch keine physische Notwendigkeit zu sein. Denn es wird in unserer aktualen Welt mehrfach verletzt. Siehe auch hier:
Das ursprüngliche Leibniz-Prinzip PIU lässt sich nun auch noch umkehren:
Das Leibniz-Prinzip der Ununterscheidbarkeit des Identischen (PUI) besagt, dass falls x und y identisch sind, dann haben x und y dieselben Eigenschaften F.
Die formale Notation des PUI: ∀xAy∀F: x = y ➝ (Fx ↔ Fy)
Kritik: Diese Notation ist wieder problematisch, da es zwei Variablen für ein Objekt verwendet. Dieses Problem lässt sich analog zu dem oberen lösen:
Das Leibniz-Prinzip der Unterscheidbarkeit des Nicht-Identischen (PUI) besagt, dass falls x und y nicht identisch sind, dann haben x und y auch nicht dieselben Eigenschaften F.
Die formale Notation des PUI2: ∀F ∀x, y: ¬(Fx <-> Fy) -> (x ≠ y).
Anders als PIU scheint PUI in Bezug auf synchrone Identität eine physikalische und sogar eine metaphysische Notwendigkeit zu sein! Denn man kann sich schwerlich eine mögliche Welt vorstellen, in der unterscheidbare Dinge zu tj identisch sind, oder eine Welt, in der nicht-unterscheidbare Dinge zu tj nicht-identisch sind. Vielmehr scheint es bereits analytisch wahr zu sein, dass wenn x und y zu tj (nicht) identisch sind, x und y zu tj auch (nicht) dieselben Eigenschaften besitzen. Damit ist PUI ein heißer Kanditat für eine unmittelbar gerechtfertigte und wohlmöglich a priori einsichtige Basisüberzeugung.
„No entity without identity.“ W.V.O. Quine
Das Prinzip der Ununterscheidbarkeit des Identischen ist aber nur dann wahr, wenn die Bündelontologie wahr ist und in Bezug auf Dinge. Für andere Ontologien und Bereiche gelten andere Identitätsbedingungen. Hier eine kleine Auswahl:
Bündelontologie. Leibniz-Kriterium:
∀F [F(a) ↔ F(b)] → a = b
Substanzontologie. Substanz-Kriterium:
∀Fe [Fe(a) ↔ Fe(b)] → a = b
Haecceismus. Haecceitas-Kriterium:
∀Fhaec [Fhaec(a) ↔ Fhaec(b)] → a = b
Substrattheorie: Substrat-Kriterium:
∃z [S(z, a) & S(z, b)] → a = b
Raum-Zeit-Regionen: Lemmon-Kriterium:
(xa, ya, za, ta) = (xb, yb, zb, tb) → a = b
Bildurheber: François GOGLINS (CC BY-SA 3.0)
[1] Diese Position hat z. B. David Papineau in seinem Aufsatz "Mind the Gap" (1998) vertreten. Papineau zufolge sollte sich jeder Eigenschaftsphysikalist zur Identitätstheorie bekennen. „My first task is to show that physicalism is best conceived as a thesis about property identity“ (p. 374). Aber, so Papineau weiter, die Identitätstheorie kann auch wahr sein, wenn sich mentale Eigenschaften nicht auf physikalische Eigenschaften reduzieren lassen, wenn es also nicht für alle mentalen Eigenschaften M eine Analyse gibt, für die gilt: Aus den grundlegenden Gesetzen der Physik folgt, dass alle Gegenstände, die die physikalische Eigenschaft P besitzen, die Analyse von M erfüllen. Identitäten bestehen oder sie bestehen nicht. Es hat keinen Sinn zu fragen, warum zwei Dinge oder Eigenschaften identisch sind. Deshalb spielt es für die Frage, ob M und P identisch sind, auch keine Rolle, ob wir verstehen, wie P M hervorbringt. Identische Eigenschaften bringen einander nicht hervor, sie sind einfach identisch.
[2] Man sagt philosophisch auch: A und B sind qualitativ gleich.
[3] Die Tropen-Ontologie erfüllt PIU trivialerweise.
[4] Das starke Leibniz-Prinzip scheint dadurch widerlegt. Ein schwaches Leibniz-Prinzip, nach dem irreflexive Relationen als (schwach) indivduierende Eigenschaften erlaubt sind, lässt sich aber noch retten. Nach ihm hat die erste Black Kugel bspw. den Abstand d zur anderen Kugel, aber nicht zu sich selbst.
[5] John Stachel: The relation between Things and the Things between Relation (2002)
[6] Steven French und Michael Redhead: Quantum physics and the identity of indiscernibles (1988)
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Stand: 2020