Ein intentionaler Zustand ist ein mentaler Zustand mit propositionalem Inhalt.
Franz Brentano liefert die klassische Definition von Intentionalität:
„Jedes psychische Phänomen ist durch das charakterisiert, was die Scholastiker des Mittelalters die intentionale (auch wohl mentale) Inexistenz eines Gegenstandes genannt haben, und was
wir, obwohl mit nicht ganz unzweideutigen Ausdrücken, die Beziehung auf einen Inhalt, die Richtung auf ein Objekt (worunter / hier nicht eine Realität zu verstehen ist), oder die immanente
Gegenständlichkeit nennen würden. Jedes enthält etwas als Objekt in sich, obwohl nicht jedes in gleicher Weise. In der Vorstellung ist etwas vorgestellt, in dem Urteile ist etwas anerkannt oder
verworfen, in der Liebe geliebt, in dem Hasse gehasst, in dem Begehren begehrt usw. Diese intentionale Inexistenz ist den psychischen Phänomenen ausschließlich eigentümlich. Kein
physisches Phänomen zeigt etwas Ähnliches.“
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Franz Brentano: Psychologie vom empirischen Standpunkte, S. 124f.
Das heißt: Er charakterisiert Intentionalität über drei Merkmale:
1. Intentionalität ist eine Eigenschaft des Mentalen, die sich als "Beziehung auf einen Inhalt" oder "Richtung auf ein Objekt" definieren lässt.
Denn: Wenn ein Subjekt S etwas glaubt, wünscht, liebt oder befürchtet, dann sind seine mentalen Zustände auf dieses etwas gerichtet. Das Objekt muss dabei nicht zwangsläufig raumzeitlich existieren, es kann auch eine abstrakte (rechnen mit Zahlen) oder fiktive (Wünsche) Entität sein. In diesem auf ein Objekt Gerichtetsein besteht laut Brentano die Intentionalität mentaler Zustände.
Ich halte Brentanos erste These für unglücklich formuliert. Denn man glaubt oder befürchtet bspw. kein bestimmtes Objekt oder keine bestimmte Entität, sondern dass etwas der Fall ist. Es ist daher naheliegender, intentionale Zustände als mentale Zustände mit propositionalem Inhalt zu definieren.
Durch ihren propositionalen Inhalt werden intentionale Zustände semantisch bewertbar bzw. sie bekommen Wahrheits- oder Erfüllungsbedingungen. Denn jede Proposition kann wahr oder falsch sein. Wenn S bspw. glaubt, dass das Wetter umschlägt, dann ist diese Überzeugung wahr, wenn das Wetter tatsächlich umschlägt. Und wenn S hofft, dass das Wetter umschlägt, dann ist die Erfüllungsbedingung dieser Hoffnung, dass das Wetter tatsächlich umschlägt.
1. Alles Mentale ist intentional.
Ich halte Bretanos zweite These für falsch. Denn wenn ein Subjekt S erfreut, erschöpft, deprimiert ist oder sich unwohl fühlt, dann haben die mentalen Zustände von S zwar idR. eine Ursache, sie sind aber nicht intentional.
Allerdings sind alle oben angeführten Zustände phänomenal, d.h. es fühlt sich für S auf eine ganz bestimmte Weise an, erfreut, erschöpft und deprimiert zu sein. Umgekehrt scheinen auch alle nicht-phänomenalen Zustände intentional zu sein. Es liegt daher nahe anzunehmen, die zweite These so zu formulieren:
2*. Alles Mentale ist intentional, phänomenal, oder beides.
1. Alles Physische ist nicht-intentional (sondern kausal).
Denn: Wenn ein Subjekt S etwas glaubt, dann hat sein mentaler Zustand dieses etwas zum Inhalt. Sein damit einhergehender physischer Gehirnzustand besitzt aber keinen propositionalen Gehalt, er ist ein kausales Glied aus einer langen Kette von elektrochemischen Ereignissen. Wenn das stimmt, dann folgt daraus:
3.* Einige mentale Zustände sind irreduzibel gg. physische Zustände.
Denn: Wenn einem mentaler Zustand die Eigenschaft der Intentionalität zukommt, dann kann diese Eigenschaft nicht auf einen physischen Zustand zurückgeführt werden. Denn kein physischer Zustand ist selbst intentional.
Das ist aber ein Problem für den Physikalismus, nach dem ontologisch alles physisch ist. Philosophen wie Fred Dretske, Jerry Fodor und Ruth Millikan haben versucht, dieses Naturalisierungsproblem der Intentionalität aufzulösen:
a. Jerry Fodor meint, dass sich ein neuronaler Prozess genau dann auf X bezieht, wenn er in einer bestimmten kausalen Relation zu X steht.
b. Fred Dretske meint, dass sich ein neuronaler Prozess genau dann auf X bezieht, wenn er ein verlässlicher Indikator für X ist.
c. Ruth Millikan meint, dass sich ein neuronaler Prozess genau dann auf X bezieht, wenn es die evolutionäre Funktion des Prozesses ist, X anzuzeigen.
Andere Philosophen, etwa Hilary Putnam und John Searle, halten Intentionalität für naturwissenschaftlich nicht erklärbar. Ich halte die Ansätze von Fodor, Dretske und Millikan für verfehlt, glaube anders als Putnam und Searle aber nicht, dass Intentionalität nicht naturalisierbar ist. Für meinen Lösungsvorschlag siehe hier.
„Intentionale Zustände sind eigenartige Dinge. Wenn wir uns in ihnen befinden, dann greifen
wir mit dem Geist in eine Welt hinaus, die [...] selbst ganz unabhängig vom Geist existiert. Der Geist greift also über sich hinaus, besitzt eine eigenartige Offenheit bzw. Transzendenz auf die
Welt hin.“
- Ansgar Beckermann: Wie bezieht sich der Geist auf die Welt?, S. 1
Stand: 2019
Matthias Holweger (Dienstag, 18 Februar 2020 19:39)
@ "Ich halte Brentanos erste These für unglücklich formuliert. Denn man glaubt oder befürchtet bspw. kein bestimmtes Objekt oder keine bestimmte Entität, sondern dass etwas der Fall ist."
Wie wäre es mit dem Fall, wo man 'an etw. / jmdn. denkt'? Wenn ich an Donald Trump denke, dann impliziert das, wie mir scheint, nicht, dass ich denke, dass Donald Trump so-und-so ist, oder die-und-die Eigenschaft hat.
WissensWert (Sonntag, 14 April 2019 01:09)
Ein weiteres Merkmal beruht auf einer Analyse der Gesetze der Alltagspsychologie und der wissenschaftlichen Psychologie, die intentionale Zustände mit Handlungen oder anderen intentionalen Zuständen verbinden. Auf der einen Seite gibt es nämlich eine ganze Reihe von Gesetzen, in denen der konkrete Inhalt der jeweiligen intentionalen Zustände eine wesentliche Rolle spielt. Zu diesen gehören Sätze wie:
(3) 70% aller Deutschen, die davon überzeugt sind, dass bei der Erziehung von Kindern Härte besser ist als Nachsicht, befürworten eine Erhöhung des Etats für die Bundeswehr.
und
(4) Wer den Kapitalismus für das größte Übel der Menschheit hält, neigt dazu, die Verbrechen, die unter kommunistischen Regimen verübt wurden, zu beschönigen.
Auf der anderen Seite gibt es aber auch viele psychologische Gesetze, in denen es nicht auf den konkreten Inhalt der intentionalen Zustände ankommt, sondern nur auf die logische Form dieses Inhalts. Zu diesen gehören alltagspsychologische Gesetze wie:
(5) Wer Fa glaubt, der glaubt auch ∃xFx[10]
und
(6) Wenn jemand p glaubt und "wenn p, dann q"[11] glaubt, dann glaubt er auch q.
Das hier intendierte Merkmal intentionaler Zustände kann man daher so fassen:
- In einer ganzen Reihe von psychologischen Gesetzen wird nicht auf den konkreten Inhalt intentionaler Zustände Bezug genommen, sondern nur die logische Form dieses Inhalts.
Mit diesem Merkmal hängt ein viertes eng zusammen, das häufig so formuliert wird:
- Kausalbeziehungen zwischen intentionalen Zuständen respektieren häufig semantische Beziehungen zwischen ihren Inhalten bzw. Rationalitätsprinzipien.
Was ist damit gemeint? Wenn wir uns die Gesetze (5) und (6) noch einmal ansehen und dabei auf die Inhalte der Überzeugungen achten, auf die in diesen Gesetzen Bezug genommen wird, dann zeigt sich, dass zwischen diesen Inhalten eine logische Beziehung besteht: Wenn Fa wahr ist, muss auch ∃xFx wahr sein, und wenn p und "wenn p, dann q" wahr sind, dann muss auch q wahr sein. Zumindest in einigen Fällen ist es also so, dass gilt: Wenn p aus p1, …, pn logisch folgt, dann verursachen die Überzeugungen, dass p1, dass p2, … und dass pn, zusammen die Überzeugung, dass p. In diesen Fällen sagt man, dass die Kausalbeziehungen zwischen den Überzeugungen die semantische Beziehung der logischen Folgerung zwischen ihren Inhalten respektieren.
Dass Kausalbeziehungen zwischen intentionalen Zuständen in manchen Fällen Rationalitätsprinzipien respektieren, kann man sich am einfachsten anhand des folgenden alltagspsychologischen Gesetzes klar machen:
(7) Wenn jemand p erreichen will, glaubt, dass die Ausführung von h ein geeignetes Mittel zur Erreichung von p ist, und nicht glaubt, dass die Ausführung von h Folgen hat, die er nicht will, dann wird er normalerweise daran gehen, h auszuführen.
Denn dieses Gesetz besagt unter anderem, dass zumindest in manchen Fällen Wünsche und Überzeugungen die Handlungen verursachen, die im Hinblick auf diese Wünsche und Überzeugungen rational sind. Es kann ja kein Zweifel daran bestehen, dass sich jeder rational verhält, der die Handlung ausführt, die in seinen Augen das geeignete Mittel zur Erreichung seiner Ziele ist, sofern diese Handlung nicht Nebenfolgen hat, die er nicht will. Zumindest ist das in der Regel so. Ebenso wie dem Gesetz (7) entsprechen aber auch den Gesetzen (5) und (6) Rationalitätsprinzipien. Denn natürlich ist es – in einem subjektiven Sinn – rational, p zu glauben, wenn p logisch aus dem folgt, wovon man außerdem überzeugt ist.
WissensWert (Donnerstag, 06 September 2018 00:28)
DIE ILLUSION DES BEWUSSTEN WILLENS
Wir Menschen vermuten erstaunlich schnell, dass hinter Ereignissen, die wir beobachten, Pläne und Absichten stecken. Selbst kleine Kinder reagieren anders auf Objekte, die sich selbstständig bewegen, als auf Objekte, die von etwas anderem gezogen oder geschoben werden. Wenn die alter werden, entwickeln sie eine "native Theorie" oder Mentalisierung, das heißt, sie verstehen, dass andere Menschen Wünsche, Überzeugungen, Pläne und Absichten haben. Es scheint, als seien wir darauf programmiert, Lebewesen zu erkennen und ihnen Handlungen zuzuschreiben. Diese Fähigkeit hat sich vermutlich aus guten biologischen Gründen entwickelt: Das Überlebenden könnte durchaus davon abhängen, dass man unterscheiden kann, ob es sich bei einem Ereignis um eine unbedeutende Bewegung handelt oder un die absichtsvolle Handlung eines anderen Lebewesens.
Dank dieser Fähigkeit ziehen wir allerdings oft voreilig den Schluss, dass ein bestimmtes Ereignis bewusst von jemandem herbeigeführt wurde. Zeichentrickfilme und Computerspiele funktionieren nur deshalb. Selbst ausgesprochen primitive Darstellungen vermitteln uns die Illusion von echten Lebewesen, weshalb wir Jerry mit laufen Rufen vor Toms neuem Anschlag warnen und jedes Mal aufschreiben. Wenn der arme Kenny aus 'Southpark' stirbt. Es scheint uns völlig natürlich, so zu tun, als hätten unbelebte Gegenstände Gedanken und Wünsche. Niemand wundert sich, wenn ich sage, "Meine Uhr denkt, dass heute Donnerstag ist" oder "Mein Laptop hat beschlossen, meinen Vortrag zu sabotieren". Dennett spricht von der "intentionalen Handlung", das heißt, wir behandeln nicht nur andere Menschen, sondern auch Computer, Uhren oder Zeichentrickfiguren so, als verfügten sie über Absichten. Laut Sennett handelt es sich in der Regel un eine vereinfachte, aber wirkungsvolle Methode, um eine Situation zu erfassen.
Aber wir unterstellen nicht nur anderen Menschen Wünsche und Absichten, sondern wir gehen davon aus, dass wir selbst ein Ich mit Wünschen und Absichten haben, das Handlungen in Gang setzt. Wenn wir fühlen, etwas willentlich herbeigeführt zu haben, dann haben wir den Eindruck, unser Ich habe es getan. Aus evolutionärer Sicht ist es völlig gleichgültig, ob dieses Zentrum des Willens lediglich eine Fiktion ist, solange diese Fiktion nützlich ist.
Wie immer können wir eine Menge über diesen Prozess lernen, wenn er nicht so funktioniert, wie er soll. Im vorigen Abschnitt haben wir Situationen kennengelernt, in denen wir Dinge tun, ohne das Gefühl zu haben, dass wir sie tun. In anderen Situationen ist das Gegenteil der Fall.
Diese "Kontrollillusion" ist zum Beispiel typisch für Lotto und andere Glücksspiele. Wenn wir die Möglichkeit haben, uns auf einem Zettel für verschiedene Zahlen zu entscheiden, erscheinen uns die Gewinnchancen größer als beim Kauf eines Loses, und wenn wir tatsächlich im Lotto gewinnen, haben wir das Gefühl, mit der Wahl der Zahlen einen Beitrag geleistet zu haben. Ohne diese Kontrolle plus ion würden Spielkasinos vermutlich nicht existieren, denn wir beteiligen uns vor allem deshalb an Glücksspielen, weil wir das Gefühl haben, dass wir das Ergebnis mit unseren Handlungen beeinflussen können. Wenn wir uns ein Ergebnis vorstellen und dieses tatsächlich eintritt, dann haben wir den Eindruck, das Ergebnis herbeigeführt zu haben. [WÜRFELWURF] Wenn wir den ganzen Abend an eine Freundin denken und diese uns schließlich anruft, dann meinen wir, unsere Gedanken hätten den Anruf bewirkt. Dieses Gefühl ist oft überzeugender als unser Wissen, dass wir mit unseren Gedanken allein gar nichts bewirken können.