Supervenienztheorien des Mentalen

Der allgemeine Supervenienzansatz besagt, dass eine Eigenschaftsfamilie A über eine andere Eigenschaftsfamilie B superveniert, gdw. das Vorliegen von B eine hinreichende Bedingung für das Vorliegen von A darstellt. Man spricht dann auch davon, dass B A festlegt, instantiiert oder dass A vollständig von B abhängt.

Die Supervenienztheorie des Mentalen (kurz: SdM) besagt nun, dass mentale Eigenschaften M derart über bestimmte physische Eigenschaften P supervenieren.

Bestimmte P-Eigenschaften sind also hinreichend für bestimmte M-Eigenschaften. Es ist daher unmöglich, dass es philosophische Zombies oder vertauschte Qualia gibt, das heißt, dass ein Subjekt S2 dieselben P-Eigenschaften, aber andere M-Eigenschaften als S1 oder gar keine M-Eigenschaften besitzt. Es ist auch unmöglich, die M-Eigenschaften einer Person zu ändern, ohne auch mindestens eine ihrer P-Eigenschaften zu ändern. Kurzum: Mentale-Unterscheidbarkeit impliziert Physische-Unterscheidbarkeit.

Beispiel: Kim Jong-un verordnet eine einheitliche Kleiderordnung. Von heute an muss jeder nordkoreanische Mann eine blaue Hose, ein rotes T-Shirt, schwarze Schuhe und einen schwarzen Hut tragen. D.h.: Die Farbeigenschaften der Kleidungsstücke supervenieren landesweit über ihre Zweck-eigenschaften. Denn es gibt keine zwei Kleidungsstücke, die denselben Zweck, aber unterschiedliche Farben besitzen: Es gibt keinen Schuhe und keinen Hut, der nicht schwarz, keine Hose, die nicht blau und kein T-Shirt, das nicht rot ist.

Es gibt aber sehr wohl zwei Kleidungsstücke (Hut und Schuh), die dieselbe Farbe, aber einen unterschiedlichen Zweck besitzen. Zweck-Unterscheidbarkeit impliziert hier also nicht Farb-Unterscheidbarkeit, bzw: der Zweck determiniert nicht die Farbe. Das Supervenienz-Abhängigkeitsverhältnis ist somit einseitig. Genauso wie in unserem Beispiel, legt sich die Supervenienztheorie des Mentalen auch nur darauf fest, dass P M, nicht aber, dass M P determiniert.

Damit wird sie der Multirealisierbarkeit mentaler Eigenschaften gerecht, denn sie erlaubt, dass eine mentale Eigenschaft M mit verschiedenen physischen Eigenschaften P1, P2, … Pn einhergehen kann. Nichtsdestotrotz erklärt sie die umgekehrte Abhängigkeit von M- gegenüber P-Eigenschaften. Und das alles macht sie noch, ohne eine Identität zwischen M- und P-Eigenschaften zu postulieren, was sie immun gegen die antireduktiven Argumente werden lässt.

All dies macht die SdM zu einer attraktiven Minimalposition für viele Physikalisten. Jedoch ist diese allein nicht hinreichend für einen Physikalismus.

Warum das so ist, zeigt sich in Auseinandersetzung mit dem modernen Supervenienzbegriff, der maßgeblich durch Donald Davidson[1] in die Philosophie des Geistes eingeführt und von Jaegwon Kim[2] – in kritischer Auseinandersetzung mit Davidson - in drei Unterbegriffe ausdifferenziert wurde:

1. Schwache Supervenienz

Eine Schwache Supervenienz liegt vor, gdw. die Supervenienzbeziehung zwischen M-Eigenschaften und P-Eigenschaften kontingent ist.

Das heißt, dass mentale Eigenschaften zwar in unserer aktualen Welt, nicht aber in allen möglichen Welten über physische Eigenschaften supervenieren.

Die schwache Supervenienztheorie des Mentalen ist beispielsweise mit der Auffassung vereinbar, dass es in einer anderen Welt einen Menschen gibt, der exakt dieselben P-Eigenschaften hat wie ich, der aber ganz andere oder gar keine M-Eigenschaften besitzt. Sie ist ebenfalls mit der Behauptung kompatibel, dass es eine mögliche Welt gibt, in der die Verteilung der P-Eigenschaften mit der in unserer Welt vollkommen übereinstimmt, in der die M-Eigenschaften aber ganz anders verteilt sind. Und sie ist insbesondere damit kompatibel, dass M-Eigenschaften in einer anderen Welt über seelische Eigenschaften supervenieren.  Schwache Supervenienz schließt also nicht aus, dass nicht-physische Eigenschaften existieren und der Eigenschaftsdualismus wahr sein könnte.

D.h. schwache Supervenienz kann nicht hinreichend für einen Mentale-Eigenschaften-Physikalismus sein. Der Physikalist muss seine modale Aussage daher stärker fassen, er muss mindestens eine starke SdM behaupten:

2. Starke Supervenienz

Eine Starke Supervenienz liegt vor, gdw. die Supervenienzbeziehung zwischen mentalen und physischen Eigenschaften notwendig ist.

D.h. dass M-Eigenschaften in allen möglichen Welten über P-Eigenschaften supervenieren. "Möglichkeit" kann dabei verschiedenartig analysiert werden:

1. Nomologische Supervenienz liegt vor, wenn "Möglichkeit" im Sinne von "naturgesetzlich möglich" analysiert wird: Die nomologische SdM behauptet also, dass M-Eigenschaften in allen naturgesetzlich-möglichen Welten über P-Eigenschaften supervenieren. Also etwa in der Welt, in der Menschen drei Augen haben, nicht aber in der, in der ein Perpetuum Mobile existiert (da dies gegen den Energieerhaltungssatz und damit gegen die Naturgesetze verstoßen würde.)

NS ist aus mindestens zwei Gründen physikalistisich unzureichend:

(A) Die NSdM lässt ein beidseitiges Abhängigkeitsverhältnis zwischen M-Eigenschaften und P-Eigenschaften zu. Dass das so ist, zeigt sich leicht, wenn man das Kleiderbeispiel ein wenig modifiziert, sodass nun alle Hüte rosa sind. Jetzt supervenieren nicht nur die Farb- über die Zweck-, sondern auch die Zweck- über die Farbeigenschaften. Denn es gibt nun auch keine zwei Kleidungsstücke mehr, die dieselbe Farbe, aber einen unterschiedlichen Zweck besitzen. Auf einer ähnlichen Weise schließt eine die nomologische SdM nicht aus, dass auch P-Eigenschaften nomologisch über M-Eigenschaften supervenieren. Dies widerstrebt aber sowohl der Multirealisierbarkeit mentaler Eigenschaften, als auch dem Physikalismus, nach dem das Physische zumindest grundlegend ist.

(B) Die NsdM lässt selbst dualistische Abhängigkeitsverhältnisse zwischen M-Eigenschaften und P-Eigenschaften zu. Es könnte durchaus sein, dass es ein eigenständiges Naturgesetz gibt, demzufolge das Feuern von C-Fasern ein bestimmtes Schmerzerlebnis zur Folge hat. Dann würde die M-Eigenschaft "x hat Schmerzen" über die P-Eigenschaft "x hat feuernde C-Fasern" nomologisch supervenieren. Aber damit wäre immer noch nicht ausgeschlossen, dass diese M-Eigenschaft nur deshalb über eine P-Eigenschaft superveniert, weil beide Eigenschaften auf einer substantielleren Weise von einer seelischen S-Eigenschaft abhängen. Offenbar ist die nomologische SdM, ähnlich wie die schwache Supervenienz, mit einem eindeutig nicht-physikalistischen Substanzdualismus vereinbar. Mit anderen Worten: Der mentale-Eigenschaften-Physikalist muss definitiv mehr behaupten als nomologische Supervenienz.

2. Metaphysische Supervenienz liegt vor, wenn "Möglichkeit" im Sinne von "metaphysisch möglich" analysiert wird: Die metaphysische SdM behauptet also, dass M-Eigenschaften in allen überhaupt nur möglichen Welten über P-Eigenschaften supervenieren. Also nicht nur in der Welt, in der Menschen drei Beine haben, sondern auch in der Welt, in der E ≠ mc² ist. Die metaphysische Supervenienzthese kann indes argumentativ nicht aufrechterhalten werden: Denn ist vielleicht naturgesetzlich, aber sicher (qua definitonem!) nicht metaphysisch unmöglich, dass es Zombies oder intervenierende Qualia geben kann.

3. Globale Supervenienz

Eine Globale Supervenienz liegt vor, wenn die Supervenienzbeziehung zwischen M- und P-Eigenschaften sich über ganze Welten erstreckt.

D.h. dass alle M-Eigenschaften in w über alle P-Eigenschaften in w supervenieren. Wenn also in der möglichen Welt w1 die P-Eigenschaften genauso verteilt sind wie in w2, dann sind in w1 auch die M-Eigenschaften genauso verteilt wie in w2.

Die globale SdM impliziert damit einen mentalen Externalismus, nach dem die M-Eigenschaften von S in w nicht nur von den P-Eigenschaften von S, sondern ebenfalls von den P-Eigenschaften der kompletten Welt w abhängen.[3] Diese Auffassung wird in der gegenwärtigen Philosophie kontrovers diskutiert:

1. Hilary Putnam vertritt in einem populären Gedankenexperiment die Auffassung, dass die M-Eigenschaften nicht nur über die P-Eigenschaften von S supervenieren[4]: Angenommen in einer anderen Welt w2 befindet sich überall dort, wo in unserer aktualen Welt w1 Wasser ist, eine Flüssigkeit mit denselben Makroeigenschaften wie Wasser in w1 (geruchslos, farblos, etc.), aber mit der chemischen Mikrostruktur XYZ. Und angenommen, die Flüssigkeit XYZ wird von S2 in w2 ebenfalls als "Wasser" tituliert. Dann ist der intentionale Gedanke "dort ist Wasser" von S2 in w2 ein anderer als der Gedanke "dort ist Wasser" von S1 in w1. S1 und S2 können also dieselben P-Eigenschaften[5] und trotzdem unterschiedliche M-Eigenschaften haben, weil sich die Gedanken von S1 und S2 auf unterschiedliche chemische Verbindungen beziehen. Somit superveniert die M-Eigenschaft "S2 denkt: dort ist Wasser" nicht nur über die P-Eigenschaften von S2, sondern auch über weitere P-Eigenschaften in der Welt w2.

2. Jaegwon Kim ist der Meinung, dass die M-Eigenschaften von S1 nicht über alle P-Eigenschaften in w1 supervenieren[6]: Angenommen, eine andere Welt w2 ist ein nahezu perfektes physisches Duplikat von unserer aktualen Welt w1, außer dass die Ringe des Saturns in w2 ein Atom mehr enthalten als in w1. Dann ist mit der globalen SdM vereinbar, dass die mentalen Eigenschaften in w2 ganz anders verteilt sind als in w1, dass also beispielsweise in w2 keine Menschen, sondern Steine, M-Eigenschaften besitzen. Denn nach der globalen SdM werden die M-Eigenschaften in w2 von allen P-Eigenschaften in w2 bestimmt, also auch von der Anzahl der Atome im Saturnring. In Anbetracht dieses Beispiels scheint die These der globalen SdW tatsächlich zweifelhaft, dass M-Eigenschaft über sämtliche P-Eigenschaft einer Welt supervenieren.

Beide Überzeugungen klingen prima facie plausibel, führen aber in eine unbefriedigende Gesamtsituation: Wenn die M-Eigenschaften eines Subjekts S1 über einige (Putnam), nicht aber über alle (Kim) externen P-Eigenschaften supervenieren, über welche externen P-Eigenschaften supervenieren sie dann? Es scheint kein vernünftiges Kriterium zu geben, mit dem man diese Frage sicher beantworten kann. Sicher scheint mir hingegen, dass der Physikalist eine lokal begrenzte und keine globale SdW behaupten muss. Denn ein veränderter Gedanke von Barack Obama mag von einem veränderten Hirnzustand von Barack Obama, oder wegen mir von der Umwelt von Obama abhängen. Aber er steht sicher nicht in einem ontologisch relevanten Abhängigkeitsverhältnis zu der gegenwärtigen Anzahl der Atome im Saturnring.

4. Fazit

Keine der drei untersuchten Supervenienzthesen ist hinreichend für einen Mentale-Eigenschaften-Physikalismus. Das liegt daran, dass Supervenienz generell nur eine starke Kovarianz, aber kein  Abhängigkeitsverhältnis[7] von mentalen Eigenschaften gegenüber bestimmten physischen Eigenschaften behauptet.[8] Selbst ein minimaler Mentale-Eigenschaften-Physikalismus muss laut der Realisierungsthese aber behaupten, dass mentale Eigenschaften physisch realisiert werden, also nicht nur mit, sondern wegen physischen Eigenschaften auftreten.

Thomas Grimes wies 1988 in "The myth of supervenience" wohl als erster auf diesen Umstand hin.[9] Auch Jaegwon Kim scheint das inzwischen so zu sehen: „supervenience is not a type of dependence, dependence grounded in definability, and the like. It is not a metaphysically deep, explanatory relation; it is a „phenomenological“ relation about patterns of property covariation“[10]

Nach Terence Horgan müssen mentale Eigenschaften deshalb über physische Eigenschaften nicht allein supervenieren, sondern "superdupervenieren".[11] Das heißt, sie müssen explanatorisch auf diese reduzierbar sein. Aber auch die reduktiven Ansätze können bekanntlich keinen mentale-Eigenschaften-Physikalismus fundieren. Denn dafür müssten sie behaupten, dass mentale Eigenschaften mit bestimmten physischen Eigenschaften identisch sind. Eine solche explanatorisch Reduktion respektive Identitätspostulat scheint nach Levines Argument aber unmöglich, da man für keine physische Eigenschaft verständlich machen kann, dass sie sich auf die bestimmte Weise anfühlt, wie es für mentale Eigenschaften mit qualitativen Merkmalen charakteristisch ist. Damit hat Levine gleich nebenbei eine Emergenztheorie des Mentalen starkgemacht.

Fußnoten

[1] Donald Davidson: Mental Events (1970)


[2] Jaegwon Kim: Supervenience and Mind (1993)

[3] Vergleich: Thomas Grimes: The Myth of Supervenience (1988)


[3]
 Außerdem scheint die globale SdM eine überzeugende Explikation des für den nichtreduktiven Physikalismus kennzeichnenden Grundsatz "Abhängigkeit ohne Reduktion" zu liefern. Denn wenn M-Eigenschaften globale über P-Eigenschaften supervenieren, dann suggeriert dies zumindest ein Abhängigkeitsverhältnis. Globale Supervenienz impliziert jedoch keine eindeutige Beziehung zwischen M-Eigenschaften und P-Eigenschaften und somit zumindest keine lokale Reduzierbarkeit.

[4]
 Hilary Putnam: Meaning and Reference (1973)


[5]
 Anders als Putnam annimmt, können S1 und S2 nicht dieselben P-Eigenschaften haben, da sie aus Menschen zu einem Großteil aus "Wasser" und damit aus völlig unterschiedlichen chemischen Verbindungen bestehen. Das widerlegt den mentalen Externalismus natürlich noch nicht, macht Putnams Gedankenexperiment aber unnötig angreifbar.


[6]
 Jaegwon Kim: "Strong" and "Global" Supervenience (1987), insb. S. 321 f.


[7]
 Achim Stephan: Emergenz (2007), S. 176


[8]
 Ansgar Beckermann: Analytische Einführung in die Philosophie des Geistes (2008), S. 210


[9]
 Thomas Grimes: The myth of supervenience (1988)


[10]
 Jaegwon Kim: Emergence, Supervenience, and Realization (1997), S. 276. Vergleich auch: Jaegwon Kim: Postscripts on Mental Causation (1993), S. 165ff.


[11]
 Terence Horgan: From Supervenience to Superdupervenience: Meeting the Demands of a Material World. (1993), insbesondere S. 560.

Siehe auch

Stand: 2019

Kommentare: 1
  • #1

    WissensWert (Donnerstag, 18 Oktober 2018 00:39)

    John Searle drückt das so aus: ” Neurophysiologische Gleichheit garantiert geistige Gleichheit, geistige Gleichheit garantiert aber keine neurophysiologische Gleichheit.“[5Searle (1993) p. 145]


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