Naiver Realismus

Der Naive Realismus (auch: klassischer Realismus, direkter Realismus) ist eine erkenntnistheoretische Position der Theorie der Wahrnehmung, nach der subjektive Wahrnehmung und objektive Wirklichkeit im Wesentlichen deckungsgleich sind. Sprich: Ihr zufolge sind die Dinge an sich in etwa so, wie sie uns erscheinen. Man sieht also einen grünen Ball, weil ein grüner, rundlicher Gegenstand vor einem liegt. Und nicht etwa, weil der Ball erst und nur infolge unserer Wahrnehmung vor unserem inneren Auge entsteht. Aus dem Beispiel mit dem Ball geht auch hervor, dass der Wahrnehmende laut dem naiven Realismus eine rein passiv-rezipierende Position einnimmt.

meine Gedanken

Der unreflektierte Mensch geht unbewusst davon aus, dass eine einzige, mit seinem subjektiven Erlebnis (insbesondere das Gesehene) im Wesentlichen deckungsgleiche, objektive und von ihm als Subjekt unabhängige Realität existiert.

Der gemeine Mensch geht meist unbewusst davon aus, dass sein subjektives Erleben ein zuverlässiges Bild einer unabhängig von ihm existenten Wirklichkeit darstellt. Doch dies ist höchstwahrscheinlich ein fundamentaler Fehlschluss. Wahrnehmung ist nicht gleich Wirklichkeit. Glaubt man nämlich den Erkenntnissen, Annahmen und Postulaten aus der heutigen Physik, Neurologie, Psychologie, Philosophie und aus vielen anderen Wissenschaften, kann die vom naiven Realismus vertretene Auffassung als widerlegt angesehen werdenDenn viele wissenschaftliche Auffassungen, aber auch einfachste Überlegungen zeigen auf, dass wir die Welt zu Teilen oder ganz erschaffen können und dies auch tun. (Tatsächlich vertritt aktuell kaum ein ernstzunehmender Denker die Position des naiven Realismus.) Eines der bekanntesten kommt dabei sicher aus der Neurologie. Qualia, unsere Realität, entsteht nach ihr erst in unserem Gehirn. Der Ball reflektiert beispielsweise elektromagnetische Strahlung einer bestimmten Wellenlänge.  Das Grün-Empfinden entsteht aber ausschließlich in unserem Kopf. Ohne Bewusstsein keine Qualia, kein Grün.

Hier sehen Sie Bilder, die optische Täuschungen verursachen können. Links denkt man fälschlicherweise schwarze Punkte in den weißen zu erkennen. Rechts versucht der Verstand das Bild zu vervollständigen und konstruiert ein Würfel, wo keiner ist. Optische Täuschungen sind einfache Beispiele für das Unvermögen unseres Gehirns die Wirklichkeit getreu wiederzugeben.

„Es heißt nicht umsonst naiver Realismus“, so ist man fast versucht zu sagen. Schon allein, weil es oft von einem anscheinend intersubjektiven Sachverhalt in einzelnen Aspekten viele verschiedene Wahrnehmungen gibt. So wird eine an einer Rot-Grün-Schwäche leidende Frau den für andere Leute grünen Ball als matt und farblos wahrnehmen. Neben den physischen existieren ebenso geistige Unterschiede in der Wahrnehmung, die das Erkenntnisvermögen der eigenen Realität stark beeinflussen können. So sieht ein Mathematikprofessor mehr im Satz des Pythagoras, als ein Kleinkind. Es gibt aber auch etliche Entitäten, die prinzipiell kein Mensch wahrnehmen kann. Würde von dem Ball etwa eine elektromagnetische Strahlung außerhalb des für uns sichtbaren Spektrums auf die Netzhaut unseres Auges fallen, könnten wir den Ball überhaupt nicht sehen. Auch wenn etwas zu klein, zu groß oder zu weit entfernt ist, entzieht es sich unserer unmittelbaren WahrnehmungUnd dennoch ist ein kleiner Gegenstand oder eine ultraviolette Strahlung existent. Unsere Sinnesorgane und unser Nervensystem haben sich nach evolutionär-ökonomischen Prinzipien entwickelt. Und nicht etwa, um eine objektive Welt zu erkennen. Wir erkennen auch daher viele objektive Tatbestände nicht, die es jedoch nachweislich gibt. Womit der naive Realismus obsolet ist.

Da, salopp gesagt, unser Wahrnehmungsapparat verzerrt, ignoriert und erschafft lässt sich festhalten, dass die Welt nicht so ist, wie sie scheint. Vielleicht ähnlich, vielleicht gänzlich anders oder gar nicht unabhängig von uns vorhanden. 

Quellen

Kommentare: 4
  • #4

    WissensWert (Freitag, 15 Juni 2018 01:54)

    Die Welt ist nicht so, wie sie zu sein scheint. Jeder Schwindelanfall und jede optische Täuschung, bei denen sich die Welt zu drehen scheint, in Wahrheit aber mucksmäuschenstill steht, offenbart uns diese simple aber folgenschwere Wahrheit. Wenn die Welt aber an sich nicht so ist, wie ich sie wahrnehme, wie ist sie dann?

  • #3

    WissensWert (Samstag, 04 Februar 2017)

    Sehen wir die Realität so wie sie ist?

    Die Evolution hat uns keinen direkten Zugang zur Realität gegeben, sondern ein Interface, das die Realität versteckt und uns nur die relevanten Überlebensvorteile - in auffällige "Falschfarben" eingefärbt - erkennen lässt und so unser Lernverhalten leitet.

    Der Kognitionswissenschaftler Donald Hoffman, der durch Evolutionssimulationen und Spieltheorie herausfand, dass Prozesse, die die Realität künstlicher Welten realistisch sehen, aussterben, während solche, die nur für sie relevante Aspekte hervorgehoben wahrnehmen, überleben, vergleicht das mit einem Computer-Desktop auf dem Bildschirm. Wir sehen dort nicht die Realität des Computers von Transistoren und Leiterbahnen und der in ihm gespeicherten Billionen Bits und Bytes, sondern symbolhafte farbige Icons, die uns mit dem Computer effektiv arbeiten lassen.

    Schon Demokrit (460-371 v. Chr.) hat mit seiner Atomtheorie festgestellt: „Nur scheinbar hat ein Ding eine Farbe, nur scheinbar ist es süß oder bitter; in Wirklichkeit gibt es nur Atome im leeren Raum.“

    Galileo folgerte angesichts der Täuschung, dass die Erde feststeht und die Sterne sich drehen, dass „Geschmack, Gerücke, Farben usw. nur im Bewusstsein existieren. Sobald alle Lebewesen entfernt würden, würden all diese Qualitäten ausgelöscht und vernichtet."

    Thomas Metzinger spricht vom Ego-Tunnel, den wir als Weg der Informationen aus der physikalischen Welt bis in unser Bewusstsein ausblenden und meinen, die Welt direkt "wahrzunehmen". Radikale Konstruktivisten folgern aus unserer epistemischen Impotenz sogar, dass die Realität gar nicht existiert, sondern von uns konstruiert ist. Max Tegmark hat die Hypothese aufgestellt, dass die "reale Welt", die wir wahrnehmen, "nichts weiter" sei als eine reine mathematische Struktur.

    Aber spielt das für uns eine Rolle, ob die Welt, die wir als WIRK-lichkeit WAHR-nehmen, auch in der REAL-ität so ist? Würde es unser Leben verändern, wenn wir wüssten, dass wir nur einer mathematischen Matrix leben, dass wir nur Prozesse sind, die Informationen interpretieren?

  • #2

    WissensWert (Sonntag, 09 Oktober 2016 21:37)

    https://de.wikipedia.org/wiki/Naiver_Realismus

  • #1

    WissensWert (Mittwoch, 06 Juli 2016 23:31)

    Die Welt ist nicht identisch mit dem Muster, das du in ihr erkennst
    Jeder Mensch ist anfällig für Verschwörungstheorien, da unser Hirn ein neuronales Fuzzylogic-Mustererkennungs-Netz ist, das unvollständige Muster im Kopf zu vollständigen Modellen ergänzt und mit kognitiver Dissonanzreduktion Störeinflüsse zu diesen Weltbildern wegfiltert.
    Ohne das könnten wir keine Kategorien bilden, assoziieren und Zusammenhänge erkennen. Alles Geschehen wäre unüberschaubar und rätselhaft. Jeder Baum wäre etwas anderes. Aber auch jeder Mensch wäre etwas anderes. Und so ist es auch in Wirklichkeit. Vielleicht haben deshalb auch viele Autisten solche Inselbegabungen, weil sie die Welt ein Stück mehr so sehen wie sie ist: unglaublich dynamisch, komplex und vielfältig.
    Wir sollten uns immer bewusst sein, dass die reale Welt nicht das ist, was wir als unsere subjektive Wirklichkeit als Modell im Kopf wahrnehmen. Wir sollten immer ein Stück gesunden konstruktivistischen Zweifel übrig behalten und uns vor zu viel Gewissheit bewahren, die Wahrheit gepachtet zu haben.


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