Realismus

Dieser Artikel behandelt den Begriff des Realismus in der Philosophie.

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Michael Esfeld. Wie direkt soll ein Realismus sein?: Eine Position, die als ein Realismus in Bezug auf die physikalische Welt gelten soll, muss zumindest zwei Kriterien erfüllen. Sie muss erstens die ontologische Annahme enthalten, dass es eine physikalische Welt gibt, die ontologisch und kausal unabhängig von unseren Gedanken ist. Mit physikalischer Welt ist die gesamte nicht-menschliche Umwelt gemeint, wobei wir den Bereich der technischen Produkte von Menschen für den Zweck dieses Artikels beiseite lassen können. Ontologische Unabhängigkeit bedeutet hier, dass es eine physikalische Welt geben kann, ohne dass es Personen gibt, die Gedanken über diese Welt haben. Kausale Unabhängigkeit meint das Folgende: Die Gegenstände, auf die sich unsere Gedanken über die physikalische Welt beziehen, werden nicht dadurch hervorgebracht, dass wir Gedanken über diese Gegenstände bilden. Diese ontologische Annahme reicht noch nicht hin, um eine Position als Realismus zu kennzeichnen. Es bedarf noch einer Verbindung zwischen dem Gegenstandsbereich und unseren Gedanken: Eine realistische Position muss die epistemologische Annahme enthalten, dass es von der physikalischen Welt abhängt, welche unserer Gedanken über die physikalische Welt wahr sind und welche falsch sind. Anders ausgedrückt, die physikalische Welt fungiert als Wahrmacher für unsere Gedanken über die physikalische Welt. Wie Marcus Willaschek (2003) zeigt, besteht das Problem um den Realismus nicht in der Annahme, dass es eine physikalische Welt gibt, die von unseren Gedanken unabhängig ist. Das Problem besteht in Folgendem: Wenn es eine solche Welt gibt, wie können wir in unseren Gedanken einen Zugang zu ihr haben? Personen haben Gedanken, indem sie in Glaubenszuständen sind. Wenn eine Person den Gedanken hat, dass es regnet, dann ist sie in dem Zustand, zu glauben, dass es regnet. Ich werde deshalb von Gedanken und von Glaubenszuständen in auswechselbarer Weise sprechen. Die in der neuzeitlichen Philosophie vorherrschende Antwort auf die Frage, wie wir uns in Glaubenszuständen auf etwas in der Welt beziehen können, ist ein repräsentationaler Realismus: Wir haben in unseren Gedanken Zugang zur physikalischen Welt kraft mentaler Repräsentationen, die als ein epistemisches Bindeglied fungieren zwischen den Glaubenszuständen einer Person und den Gegenständen in der Welt, auf die sich diese Glaubenszustände beziehen. Diese mentalen Repräsentationen sind zugleich dasjenige, worin die Bedeutung oder der Inhalt unserer Gedanken besteht. Sie sind die Weise, wie uns die Welt gegeben ist. Im Folgenden werde ich vorwiegend vom Inhalt von Gedanken sprechen, »Inhalt« und »Bedeutung« aber synonym verstehen.

1. Einleitung

In allgemein-philosophischen, also nicht auf die Wissenschaftstheorie beschränkten Diskussionen wird unter Realismus eine Vielzahl von Thesen und daraus kombinierten Positionen verstanden, hinter denen sich aber vielleicht so etwas wie eine sie verbindende, allgemeinere Intuition erkennen lässt.[1] Thomas Nagel formuliert diese wie folgt:

“In simple terms [realism ...] is the view that the world is independent of our minds, but the problem is to explain this claim in a nontrivial way which cannot be easily admitted by everyone.”[2]
[2] [Nage86], S.90.

Crispin Wright beschreibt diese Intuition etwas ausführlicher und streicht dabei heraus, dass sie zwei “Komponenten” hat:

“A reasonable pretheoretical characterisation of realism about, say, the external world seems to me that it is a fusion of two kinds of thoughts, one kind expressing a certain modesty, the other more presumptuous. The modest kind of thought concerns the independence of the external world – for example, that the external world exists independently of us, that it is as it is independently of the conceptual vocabulary in terms of which we think about it, and that it is as it is independently of the beliefs about it which we do, will or ever would form [. . . ]. The presumptuous thought, by contrast, is that [. . . ] we are nevertheless, in favourable circumstances, capable of conceiving the world aright, and, often, of knowing the truth about it.”[3]
[3] [Wrig92], S.1/2.

Typischerweise geht es in den allgemeinen Diskussionen pro und contra Realismus zunächst um materielle Gegenstände der Alltagswelt (Tische, Bratpfannen, Papageien, Wolken u.ä.) und ihre Eigenschaften bzw. entsprechende Sachverhalte oder Sätze. Dinge dieser Art liefern die paradigmatischen Beispiele, anhand derer realistische und antirealistische[4] Thesen entwickelt und diskutiert werden. Debatten über realistische oder  antirealistische Thesen werden aber auch bezüglich anderer Gegenstands- oder Diskursbereiche geführt: über Universalien (“Röte” bzw. die Farbe rot u.ä.) und natürliche Arten (Gürteltiere, Granat usw.), abstrakte Gegenstände (Sinfonien, Vereine, Nationen u.ä.), mathematische Gegenstände (Zahlen, Algebren, Mannigfaltigkeiten u.ä.), mentale Zustände und Entitäten, die Gegenstände und Sachverhalte der Ethik (Werte, ethische Urteile etc.), Sachverhalte kausaler, modaler und kontrafaktischer Art und vieles mehr. Eine differenzierte philosophische Position kann nach Gegenstands- oder Diskursbereichen unterscheiden, die groß oder klein “zugeschnitten” sein können und in Bezug auf verschiedene Bereiche i.a. unterschiedliche realistische und antirealistische Thesen einschließen.

Einzelnachweise

Literaturverzeichnis

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Crispin Wright (1993). Realism, Meaning, and Truth. Oxford: Blackwell.

Dancy, Jonathan (1985). An Introduction to Contemporary Epistemology. Oxford: Oxford University Press.

Descartes, René (1972). Meditationen über die Grundlagen der Philosophie mit den sämtlichen Einwänden und Erwiderungen. Hamburg: Meiner.

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Dummett, Michael (1993c). Realism. In: In: Michael Dummett: The Seas of Languanges. Oxford: Oxford University Press.

Dummett, Michael (1993a). The Seas of Languages. Oxford: Oxford University Press.

Dummett, Michael (1993b). Realism and Anti-Realism. In: Michael Dummett: The Seas of Languanges. Oxford: Oxford University Press.

Earman, John (1993). Underdetermination, Realism, and Reason. Midwest Studies in Philosophy 18(1), S. 19 - 38.

Feigl, Herbert (1950). Existential hypotheses. Realistic versus phenomenalistic interpretations. Philosophy of Science 17(1), S. 35 - 62.

Goodman, Nelson (1978). Ways of Worldmaking. Indianapolis: Harvester Press.

Goodman, Nelson (1980). On starmaking. Synthese 45(2), 211 – 215.

Haack, Susan (1987). Realism. Synthese 73, S. 275 – 299.

Hacking, Ian (1983). Representing and Intervening. Cambridge (Massachusetts): Harvard University Press.

Hellman, Geoffrey Paul (1983). Realist principles. Philosophy of Science 50(2), S. 227 - 249.

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Leplin, Jarett (1985). Scientific Realism. Berkeley: University of California Press.

Michael Devitt (1991). Realism and Truth. Oxford: Blackwell.

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Mittelstraß, Jürgen (1995.) (Hrsg.): Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie. Stuttgart: J.B. Metzler.

Nagel, Thomas (1986). The View From Nowhere. Oxford: Oxford University Press.

Newton-Smith, William (1981). The Rationality of Science. London: Routledge.

Pettit, Philip (1991). Realism and response-dependence. Mind 100(4), S. 587 - 626.

Putnam, Hilary (1978). Meaning and the Moral Sciences. London: Routledge and Kegan Paul.

Putnam, Hilary (1981). Reason, Truth and History. Cambridge (Massachusetts): Harvard University Press.

Putnam, Hilary (1987). The Many Faces of Realism. La Salle: Open Court.

Putnam, Hilary (1990). Realism with a Human Face. Cambridge (Massachusetts): Harvard University Press.

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Russell, Bertrand (1914). The relation of sense-data to physics. Scientia 16(16), S. 1 – 27.

Tschepke, Frank (2003). Wissenschaftlicher Realismus. Online Dissertation.

Van Fraassen, Bas (1980). The Scientific Image. Oxford: Oxford University Press.

Wright, Crispin (1992). Truth and Objectivity. Cambridge (Massachusetts): Harvard University Press.

Siehe auch

Dispositionaler Realismus
Entitätenrealismus
Epistemischer Strukturenrealismus
Metaphysischer Realismus
Modaler Realismus
Moralischer Realismus
Naiver Realismus
Ontischer Strukturenrealismus
Repräsentationaler und Direkter Realismus

Universalienrealismus

Wissenschaftlicher Realismus

Crispin Wright (1993). Realism, Meaning, and Truth. Oxford: Blackwell.
Hilary Putnam (1981). Reason, Truth and History. Cambridge (Massachusetts): Harvard University Press.
Michael Devitt (1991). Realism and Truth. Oxford: Blackwell.

Michael DummettTruth and other EnigmasCambridge (Massachusetts): Harvard University Press.

Stand: 2016

Kommentare: 8
  • #8

    Philoclopedia (Dienstag, 18 Mai 2021 10:02)

    https://plato.stanford.edu/entries/realism-sem-challenge/

  • #7

    Philoclopedia (Dienstag, 15 Dezember 2020 11:29)

    Lieber Her Greiter,

    Die mir bekannten (und auch von mir geschätzten) Philosophen schätzen Herrn Gabriel nicht besonders.
    Siehe z.B.: http://www.kath.ruhr-uni-bochum.de/aktuelles/ph-th/news01017.html.de

  • #6

    Gebhard Greiter (Dienstag, 15 Dezember 2020 10:21)

    Das hier ist eine wunderschöne, sehr informative Seite. Danke!

    Das Einzige, was ich hier vermisse, ist eine Stellungnahme dazu, wie man in der Szene derzeit den Wert von Markus Gabriels Neuem Realismus sieht. Wie mir scheint, merkt Gabriel nun langsam selbst, wie sehr er damit daneben lag (nur explizit zugeben möchte er es halt nicht).

    Sehen das andere an Philosophie Interessierte auch so?

  • #5

    Gebhard Greiter (Freitag, 30 August 2019 10:12)

    Vielleicht interessiert in diesem Zusammenhang auch folgender Artikel:
    <a href='https://ggreiter.wordpress.com/2019/08/08/logische-realismus-die-gut-begrundete-gegenposition-zum-neuen-realismus/'>Logischer Realismus — die gut begründete Gegenposition zum Neuen Realismus</a>.

  • #4

    Wissenswert (Freitag, 05 Januar 2018 04:38)

    https://www.openlearnware.de/resource/12-ruckblick-wiederholung-3595?start=0

  • #3

    Wissenswert (Freitag, 05 Januar 2018 04:36)

    https://olw-material.hrz.tu-darmstadt.de/olw-konv-repository/material/93/1c/93/70/17/43/11/e6/a9/7b/00/50/56/bd/73/ae/7.mp3

  • #2

    WissensWert (Freitag, 06 Oktober 2017 05:27)

    Allgemein gibt es beim Realismus in der Philosophie zwei Annahmen:

    1) ontologisch (auf die Seinslehre bezogen): vom Bewußtsein/vom Denken der Subjekte unabhängige Existenz von Dingen

    2) erkenntnistheoretisch: grundsätzliche Erkennbarkeit der Dinge, also Möglichkeit, sich der Wahrheit zumindest anzunähern

    Hans Jörg Sandkühler, Realismus. In: Enzyklopädie Philosophie : in drei Bänden mit einer CD-ROM. Unter Mitwirkung von Dagmar Borchers, Arnim Regenbogen, Volker Schürmann und Pirmin Stekeler-Weithofer herausgegeben von Hans Jörg Sandkühler. Band 2: Q – Z. Hamburg : Meiner, 2010, S. 2216 – 2221

    S. 2216: „‹Realismus› (R.) bezeichnet als ontologischer und erkenntnistheoretischer Begriff im weitesten Sinn zwei Annahmen: (i) Es gibt vom menschlichen ↑ Bewusstsein unabhängige Dinge in einer objektiv existierenden Außenwelt; (ii) im Prinzip sind die Dinge und ihre Eigenschaften der ↑ Erkenntnis zugänglich.“

    Gemeinsamkeiten von realistischen und nicht-realistischen Wissenschaftstheorien

    1) Sie sind eine Wissenschaftsstheorie und gehören damit zum Gebiet der Erkenntnistheorie.

    2) Sie beschäftigen sich mit vielen gleichen grundsätzlichen Themen/Fragenstellungen (Erkenntnisansprüche, Methoden, Voraussetzungen; Ziele und Deutungsfolgen von Wissenschaft)

    3) Sie versuchen Beschreibungen und Erklärungen zu geben.

    Unterschiede von realistischen und nicht-realistischen Wissenschaftstheorien

    1) ontologischer Realismus: Realistische Wissenschaftstheorien vertreten auch einen ontologischen Realismus (es gibt tatsächlich die Dinge, die grundsätzlich wissenschaftlich erkennbar sind). Nicht-realistischen Wissenschaftstheorien können zwar einen ontologischen Realismus vertreten (dann ist ihre Auffassung, es gebe eine vom Bewußtsein unabhängige Existenz von Dingen, aber über sie sei keine Erkenntnis möglich), aber ihn auch ablehnen.

    2) Erkennbarkeit der Dinge: Realistische Wissenschaftstheorien bejahen eine grundsätzliche Erkennbarkeit der Dinge, also eine Möglichkeit, sich wissenschaftlich der Wahrheit zumindest anzunähern, nicht-realistische Wissenschaftstheorien verneinen dies.

    3) Bezug von Begriffen: Nach Auffassung realistischer Wissenschaftstheorien beziehen sich zentrale Begriffe bestätigter wissenschaftlicher Theorien auf tatsächlich vorhandene Phänomene, nicht-realistische Wissenschaftstheorien bestreiten dies und meinen, es gebe keinen über den Rahmen bestimmter grundlegender wissenschaftlicher Denkweisen hinausgehenden Bezug.

    4) Frage der Wahrheit: Nach Auffassung realistischer Wissenschaftstheorien geht es in der Wissenschaft um das Finden der Wahrheit und bei einer sinnvollen Fragestellung sind Aussagen entweder wahr oder falsch. Nach Auffassung nicht-realistischer Wissenschaftstheorien ist eine Annäherung an eine objektive Wahrheit nicht erreichbar und es gibt bei Aussagen keine strikte Alternative, entweder wahr oder falsch zu sein.

    5) Ziel von Wissenschaft: Realistische Wissenschaftstheorien halten ein wahres Erfassen der Wirklichkeit und ihrer Strukturen für das Ziel wissenschaftlicher Theorien. Dabei halten sie einen Fortschritt für möglich. Nicht-realistische Wissenschaftstheorien halten nur einen Erfolg bei Prognosen und das Ordnen vergangener Beobachtungen für das Ziel wissenschaftlicher Theorien.

    6) Erfolg und Scheitern: Nach Auffassung realistischer Wissenschaftstheorien liegt der Erfolg wissenschaftlicher Theorien in ihrer Übereinstimmung mit der Realität und eine mangelnde Übereinstimmung mit der Realität bedeutet ihr Scheitern. Nach Auffassung nicht-realistischer Wissenschaftstheorien sind wissenschaftlicher Theorien erfolgreich, solange sie ausreichend Zustimmung erhalten, und ihre Akzeptanz hängt vor allem von ihrer organisierenden Kraft ab. Ein Scheitern liegt vor, wenn wissenschaftlicher Theorien keine ausreichende Zustimmung erhalten.

  • #1

    WissensWert (Sonntag, 18 September 2016 06:48)

    http://greiterweb.de/zfo/Realismus.htm

    http://greiterweb.de/zfo/Realismus.htm
    http://greiterweb.de/spw/Lokaler-Realismus.htm


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