Dieser Aufsatz behandelt Theorien der wissenschaftlichen Bestätigung.
Eine Bestätigung ist dabei das positive Ergebnis einer Geltungsprüfung.
Eine Bestätigungstheorie gibt an, was eine Bestätigung ist bzw. unter welchen notwendigen und zusammen hinreichenden Bedingungen eine solche vorliegt.
Der Ausgangspunkt dafür ist die:
Bestätigungsrelation: X bestätigt Y.
Frage: Was sind die Relata der Bestätigungsrelation?
Bestätigt werden sollen wissenschaftliche Theorien oder Hypothesen. Wir können Y daher als eine Satz- oder Aussagenmenge innerhalb einer Disziplin auffassen.
Über das, was bestätigt bzw. X der Art ist, gibt es verschiedene Auffassungen:
a. X ist eine Tatsache (Beispiel: Die Tatsache, dass n beobachtete Raben schwarz sind, bestätigt die Hypothese, dass alle Raben schwarz sind).
b. X ist ein wahrer Beobachtungssatz (Beispiel: Der wahre Beobachtungssatz "n beobachtete Raben sind schwarz" bestätigt die Hypothese, dass alle Raben schwarz sind).
Präziser formuliert gibt eine Bestätigungstheorie also an, unter welchen Umständen die Bestätigungsrelation instantiiert ist, das heißt eine:
Bestätigungsbedingung: X bestätigt Y, gdw. B.
Die Hypothetisch-Deduktive Methode geht auf den Dunstkreis des Logischen Empirismus und dort u.a. auf Rudolf Carnap und Carl Gustav Hempel zurück.
Aus ihr lässt sich eine naive Bestätigungstheorie ableiten. Diese besagt dann, dass eine wissenschaftliche Hypothese H durch einen Beobachtungssatz B bestätigt (falsifiziert) wird, gdw. B aus H deduktiv ableitbar ist und B sich in der Erfahrung (nicht) bewahrheitet. Kurz gesagt, der Geltungsanspruch von einer Hypothese H wird anhand ihrer beobachtbarer Konsequenzen beurteilt.
„Man unterstellt hypothetisch die Gültigkeit der Annahme und leitet deduktiv Folgen für empirisch zugängliche Phänomene ab. Die Beurteilung der Annahme stützt sich dann auf die Übereinstimmung dieser Folgen mit der Beobachtung.“
- Martin Carrier: hypothetisch-deduktiv. In: Mittelstraß, Band 3, 2008, S. 492
Die Vertreter der Hypothetisch-Deduktiven Methode betonen, dass wissenschaftliche Hypothesen frei gebildet werden können. Sie brauchen insbesondere nicht durch schon gemachte Beobachtungen nahegelegt zu werden. Damit stehen sie im direkten Widerspruch zu Induktivisten wie Francis Bacon.
Eine methodologische Folge hieraus ist, dass die Entdeckung einer Hypothese nicht von wissenschaftlichen oder logischen, sondern wenn von psychologischen und sozialen Faktoren abhängt. Die Erforschung des Entdeckungszusammenhangs ist daher auch nicht Sache der Wissenschaftstheorie, sondern der Psychologie.
Dies ist jedoch wissenschaftshistorisch unplausibel, da neue Hypothesen häufig vor dem Hintergrund vergangener Beobachtungen aufgestellt wurden!
Die Wahrheit einer Hypothese kann (oft) nicht direkt in der Erfahrung evaluiert werden. Daher sollen nach der HD-Methode aus der gebildeten Hypothese empirisch überprüfbare Konsequenzen deduziert werden.
Die empirisch überprüfbaren Konsequenzen ergeben sich nun aber nicht aus der Hypothese allein! Denn die Hypothese ist erstens in einem größeren theoretischen Kontext (Hintergrundannahmen) eingebettet und kann zweitens nur im Kontext gegebener Umstände (Anfangsbedingungen) getestet werden.
Wenn wir all dies hinzuziehen, ergibt sich dieses Schema vom zweiten Schritt:
H (Testhypothese)
A (Hintergrundannahmen)
I (Anfangsbedingungen)
_______________________
E (Beobachtungsvoraussage)
Eine Beobachtungsvoraussage E wird in der Regel also nicht einfach aus einer Hypothese H, sondern aus dem komplexen Hypothesenbündel H∧A∧I deduziert.
Dieser Schritt ist mit mindestens zwei großen Problemen behaftet:
I. Theoriebeladenheitsproblem: Die Beobachtung selbst findet auch vor Hintergrundannahmen statt. Sie kann nie so objektiv sein, wie es das Modell suggeriert.
II. Problem statistischer Hypothesen: Aus statistischen Hypothesen können keine sicheren Beobachtungsvorhersagen deduziert werden. Es sind allein probabilistische Vorhersagen möglich.
Die Beobachtungsvoraussage E soll nun in der Erfahrung überprüft werden.
Das kann auf mindestens zwei Wegen geschehen:
Tritt die vorhersagte Beobachtung ein, ist E wahr, andernfalls ist E falsch.
Aus der Wahrheit oder Falschheit der Beobachtungsvoraussage soll jetzt auf die Wahrheit oder Falschheit der zugrundeliegenden Hypothese geschlossen werden.
Hypothetisch-deduktive Verifikation:
P1. Aus H folgt E.
P2. E ist wahr bzw. eingetreten.
K1. Also: H ist wahr.
Vertreter: Carl G. Hempel
Hypothetisch-deduktive Falsifikation:
P1. Aus H folgt E.
P2. E ist falsch bzw. nicht eingetreten.
K1. Also: H ist falsch.
Vertreter: Karl Popper
Auch dieser Schritt hat wieder mit großen Problemen zu kämpfen:
I. Bejahung des Konsequenz: Der linke Schluss ist ein glatter Fehlschluss.
II. Permissivität: Das Modell ist viel zu permissiv! Denn sie fasst Beobachtungsvoraussagen als h-bestätigend an, die aber irrelevant für h sind. Beispielsweise lässt sich aus h "h oder p" deduzieren, wobei p eine wahre These wie "morgen geht die Sonne auf" ist. Dann wäre jede Hypothese durch den morgigen Sonnenaufgang bestätigt.
III. Unterbestimmtheit: Die Prämisse P1 "Aus H folgt E" in beiden Schlüssen ist unwahr. Denn wie der zweite Schritt zeigt, folgt E nicht aus H, sondern aus H plus Hintergrundannahmen plus Anfangsbedingungen.
Dementsprechend wird mit der Wahrheit oder Falschheit von E auch nicht H, sondern H mit allen Hintergrundhypothesen A1, .... An getestet. Es gilt somit:
Kurzum: Sowohl die Wahrheit (Hempel) als auch die Falschheit (Popper) einer Hypothese ist durch die Wahrheit oder Falschheit ihrer beobachtbaren Konse-quenzen empirisch unterbestimmt. Es kann kein "Experimenta crucis" geben.
„Logik und Erfahrung allein erzwingen nicht
die Verwerfung einer spezifischen Hypothese.“
- Martin Carrier: Wissenschaftstheorie zur Einführung (2006), S. 50.
Man sollte wenn dann also eher von einer Stützung anstatt einer Verifikation und von einer Schwächung anstatt von einer Falsifikation der Hypothese reden.
Hieraus folgt für eine moderne Bestätigungstheorie, dass die Bestätigung einer Hypothese sicher weniger erfordert als ihren Beweis. Denn Hypothesen lassen sich offenbar nicht empirisch beweisen, sehr wohl aber bestätigen!
Allgemein sollte die Bestätigungsbedingung B, die Kernbestandteil einer jeden Bestätigungstheorie ist, weniger als logische Implikation, aber mehr als eine bloße logische Vereinbarkeit von Hypothese und Beobachtung erfordern.
Die Hypothese h sei Boyles Gesetz: Der Druck eines Gases bei konstanter Temperatur ist umgekehrt proportional zu seinem Volumen. Formal:
P x V = konst, vorausgesetzt T = konst.
Daraus lässt sich die empirische Konsequenz e ableiten: Das Anfangsvolumen eines beobachteten Gases ist 1 Liter. Der Anfangsdruck ist 1 atm. Der Druck wird auf 2 atm erhöht. Die Temperatur bleibt konstant. Wenn sich das Volumen auf 0,5, verringert, dann ist Boyles Gesetz gestützt. Ändert sich das Volumen hingegen nicht oder um einen anderen Faktor, so ist Boyles Gesetz geschwächt.
Es gilt eben aber:
Die naive Bestätigungstheorie hat offenbar mit schwerwiegenden Problemen zu kämpfen. Dazu zählen u.a. das Problem statistischer Hypothesen, das Unterbestimmtheitsproblem, Hempels Problem, Goodmans Problem. Diese Probleme haben zu spannenden neuen Forschungsprogrammen geführt:
Alan Hajek, James M. Joyce: Confirmation. In: Stathis Psillos, Martin Curd (Hsrg.): The Routledge Companion to Philosophy of Science (2008), S. 115 - 129.
Ellery Eells: Confirmation Theory. In: Sahotra Sarkar, Jessica Pfeifer (Hrsg.): The Philosophy of Science. An Encyclopedia (2006), S. 144 - 150.
John Earman, Wesley C. Salmon: The Confirmation of Scientific Hypotheses. In: John Earman, Wesley C. Salmon, et al. (Hrsg.): Introduction to the Philosophy of Science (1992), S. 42 - 103.
Yuri Balashov, Alex Rosenberg: Philosophy of Science. Contemporary Readings (2002), PART V.
Stand: 2020
Philoclopedia (Samstag, 29 August 2020 22:39)
Es gibt einen Bezug zwischen dem Induktionsproblem und der Bestätigung. Gehen wir dazu vom folgendem intuitiv vernünftigen Induktionsschluss (Typ: Generalisierung/ enumerative Induktion) aus:
P1 Rabe Egon ist schwarz.
P2 Rabe Arthur ist schwarz.
C Alle Raben sind schwarz.
Vortheoretisch würden wir jetzt auch sagen: P1 und P2 bestätigen jeweils C. Wir können daher allgemeiner festhalten: Verbindung Induktion–Bestätigung Die Prämissen eines vernünftigen Induktionsschlusses (Typ: Enumeration) bestätigen die Konklusion.
Nun fragt sich, ob die Verbindung auch in der umgekehrten Richtung gilt: Wenn B H bestätigt, folgt dann auch, dass B die Prämisse eines geeigneten Induktionsschlusses ist, der von B nach H führt? Mit anderen Worten: Gibt es auch eine Bestätigung, die nichts mit enumerativer Induktion zu tun hat? Die Antwort auf diese Frage lautet vermutlich JA. Denn B bestätigt H auch, wenn H eine gute (die beste) Erklärung für B liefert. Beispiel (nach Ladyman 2002): Die Hypothese ”Gabi ist nicht zu Hause“ wird gestützt/bestätigt durch die Aussage, dass niemand die Tür öffnet, als Peter bei Gabi klingelt. Dass Gabi nicht zuhause ist, bildet einfach die beste Erklärung dafür, dass niemand öffnet (vgl. dagegen die Erklärung durch die Hypothese H’: Gabi wurde von Außerirdischen entfuhrt).
Wenn B H insofern bestätigt, als H die beste Erklärung für B liefert, dann ist es vernünftig, von B auf H zu schließen:
B. Als Peter bei Gabi klingelt, öffnet niemand.
H. Gabi ist nicht zuhause.
Vielleicht kann man als zusätzliche Hypothese noch hinzufügen: Die beste Erklärung dafür, dass B, ist H. In jedem Fall ist auch dieser Schluss nicht formal gültig. Es handelt sich dabei aber wenigstens oberflächlich betrachtet um keine enumerative Induktion.
Insgesamt gilt also: Im Rahmen einer Bestätigungstheorie behandeln wir die enumerative Induktion mit. Allerdings behandeln wir nicht nur die Induktion.