Populationsethik

Die Populationsethik (manchmal: Bevölkerungs-Axiologie) ist ein kleinerer Zweig innerhalb der angewandten Ethik. Sie behandelt all jene ethischen Probleme, die sich im Zusammenhang mit Populationen und Populationsentwicklungen ergeben. Besonderes Interesse hegt die P. dabei gegenüber der Frage, welche moralischen Pflichten wir gegenüber noch nicht geborenen Menschen haben. Letztere Frage ist beispielsweise in der Klima- oder Ressourcenpolitik relevant.

Nachstehend zwei Fragen, die als typisch für die P. gelten können:

(1)  Wäre es besser / schlechter, wenn in Zukunft eine größere / kleinere Anzahl von Menschen auf der Erde leben würden?

 

(2)  Hängt die Beantwortung der Frage (1) davon ab, wer diese Menschen sind und/oder wie es um ihre Lebensqualität bestimmt ist?

1. The Repugnant Conclusion

Der folgende Abschnitt ist nicht mehr als eine Skizzierung von Parfits Gedanken, für eine genauere Ausführung klicken Sie:

The Repugnant Conclusion

Eine bahnbrechende Arbeit in der Populationsethik ist Derek Parfits Buch Reasons and Persons (1984). Parfit wirft darin einige ethische Rätsel für die Populationsethik auf, die bis heute ungelöst scheinen. Dazu gehören vor allem das sogenannte Nicht-Identitätsproblem“ und die „Repugnant Conclusion“.

Wir möchten hier das zweite Rätsel erörtern, die Repugnant Conclusion also, die zweifelsohne eine zentrale Pointe der Arbeiten Parfits ausmacht.

Die R.C. widmet sich der Frage, in welchem Verhältnis die beiden relativen Werte Quantität und Qualität gelebten Lebens stehen. Wobei Parfits schlichter und eindeutiger Standpunkt der ist, dass sich Quantität und Qualität gelebten Lebens ebenbürtig gegenüberstehen. Prima Facie ist das ein Standpunkt, den so auch ein Utilitarist vertreten könnte: Utilitaristen fusionieren die Faktoren QN und QL gewöhnlich, um dadurch einen Maßstab für den Gesamtnutzen bzw. für die Quantität desjenigen zu erhalten, „was auch immer das Leben [innerhalb einer Population] lebenswert [bzw. am lebenswertesten] macht“. Letztere Definition entspricht etwa dem Glücksbegriff John Stuart Mills, einem der Urväter des Utilitarismus.

Das Repugnant Conclusio bezieht sich kritisch auf diese utilitaristische Denkweise: Wenn – dem Utilitarismus zufolge – ein Verlust qualitativer Lebensqualität durch eine hinreichend große quantitative Zunahme an gelebter Lebensqualität kompensiert werden kann, so könnte das bestmögliche Ergebnis lauten, dass eine enorm große Anzahl von Menschen leben sollten, auch wenn ihr individuelles Leben nicht sehr lebenswert ist. Das ist der fragwürdige Schluss, den Parfit Repugnant Conclusion (auf Deutsch: widrige Schlussfolgerung) nennt.

Zu Ende gedacht könnte dies nun folgendes bedeuten:

„Für beliebiges n gibt es stets größeres m, für das gilt:

Eine Welt mit m Einwohnern, deren Leben gerade noch lebenswert ist, ist besser als eine Welt mit n sehr glücklichen Einwohnern.“

-      Christoph Fehige

Zweifelsohne ist diese Behauptung streitbar, etwa in Anbetracht einer etwaigen Überbevölkerung und den sich daraus ergebenen negativen Folgen für jeden von uns.

In der Fachliteratur finden sich viele Ansätze, die allesamt versuchen Parfits Schlussfolgerung zu umgehen. Bezeichnend dabei ist, dass es sich als erstaunlich schwierig erwiesen hat, eine Theorie zu basteln, die Parfits widrige Schlussfolgerung vermeidet und nicht gleichzeitig andere, gleichermaßen kontraintuitive Konklusionen impliziert. Die Populationsethik bleibt somit weiterhin ein Gegenstand der Herausforderung:

„In B leben zweimal mehr Menschen als in A, und diesen Menschen geht es allen einzeln schlechter als denen in A. Jedoch sind die Leben der Menschen in B, wenn man sie mit denen in A vergleicht, weniger als halb Mal so lebenswert. […] Was also wäre das bessere Ergebnis? […] Nun bringe ich das […] unpersönliche Prinzip der Gesamtsumme (Impersonal Total Principle) ein: Wenn alle anderen Dinge gleich sind, so ist das beste Ergebnis dasjenige, bei dem es die größte Quantität dessen gibt, was das Leben lebenswert macht. […] Z sei eine enorme Population von Menschen, deren Mitglieder ein Leben haben, dessen Qualität nicht sehr weit über den Bereich hinausgeht, ab dem das Leben überhaupt als lebenswert erachtet werden kann. […] In jedem dieser Leben gibt es folglich nur ein wenig Glück. Wenn die Anzahl dieser Leben jedoch groß genug ist, führt sie dem Ergebnis nach zur größten Gesamtsumme von Glück. […] Somit impliziert das unpersönliche Prinzip der Gesamtsumme die widrige Schlussfolgerung. Für jede mögliche Population von wenigstens zehn Milliarden Menschen, die alle eine sehr hohe Lebensqualität besitzen, muss eine wesentlich größere Population vorstellbar sein, deren Existenz – unter der Annahme, dass alle übrigen Dinge gleichbleiben – sogar noch besser wäre, auch wenn ihre Mitglieder ein Leben haben, das kaum lebenswert ist. Wie meine Namenswahl [Z und A] bereits nahelegt, bin ich der Meinung, dass diese Schlussfolgerung kaum akzeptiert werden kann. […]

Wenn wir davon überzeugt sind, dass Z schlechter ist als A, dann verfügen wir über starke Gründe, Prinzipien abzulehnen, die implizieren, dass Z besser sei als A. Wir haben daher starke Gründe, das unpersönliche Prinzip

der Gesamtsumme abzulehnen.“
- Parfit: Reasons and Persons, S. 385 – 390

Oder formal-logisch:

P1. Die Quantität dessen, „was auch immer das Leben lebenswert macht“ in einer gegebenen Population ist eine Funktion der Quantität ihrer Mitglieder und deren qualitativer Lebensqualität.

P2. Man kann die Quantität desjenigen, „was auch immer das Leben lebenswert macht“ in einer gegebenen Population erhöhen, indem man ihr Menschen hinzufügt, deren Leben lebenswert ist.

P3. Wenn in Welt Z die Lebensqualität der Einzelpersonen kleiner ist als in Welt A, dann kann die Quantität desjenigen, „was auch immer das Leben lebenswert macht“ in Welt Z dennoch insgesamt größer sein, sofern der Population von Welt Z ausreichend viele Menschen hinzugefügt werden, deren Leben lebenswert ist.

K1. Wenn A eine Population von wenigstens zehn Milliarden Menschen mit einer sehr hohen Lebensqualität ist, muss eine noch größere Population Z vorstellbar sein, bei der die Quantität desjenigen, „was auch immer das Leben lebenswert macht“ insgesamt noch größer wäre, obwohl ihre Mitglieder Leben haben, die kaum lebenswert sind (Instanziierung, P3).

P4. Wenn – unter der Annahme, dass alle übrigen Dinge gleich sind – die beste Welt diejenige ist, bei der es die größte Quantität desjenigen gibt, „was auch immer das Leben lebenswert macht“, dann wäre eine Welt besser als das andere, wenn bei diesem die Quantität desjenigen, „was auch immer das Leben lebenswert macht“ größer ist.

K2. Wenn – unter der Annahme, dass alle übrigen Dinge gleichbleiben – die beste Welt diejenige ist, bei der es die größte Quantität desjenigen, „was auch immer das Leben lebenswert macht“ gibt, dann wäre die Welt Z besser als die Welt A. (modus ponens, K1, P4)

P5. Die Welt Z ist jedoch schlechter als die Welt A.

K3. Es ist nicht der Fall, dass – unter der Annahme, dass alle übrigen Dinge gleich bleiben – die beste Welt diejenige ist, bei dem es die größte Quantität desjenigen gibt, „was auch immer das Leben lebenswert macht“ (modus tollens, K2, P5). D.h. das unpersönliche Prinzip der Gesamtsumme ist falsch.

2. Verweise

  • Generationenethik

Stand: 2016

Kommentare: 4
  • #4

    ghovjnjv (Donnerstag, 08 September 2022 09:36)

    1

  • #3

    Philoclopedia (Dienstag, 11 Juni 2019 19:46)

    https://plato.stanford.edu/entries/repugnant-conclusion/

  • #2

    WissensWert (Sonntag, 24 Juni 2018 06:16)

    https://www.youtube.com/watch?v=zG814I1DBzU

  • #1

    WissensWert (Dienstag, 20 September 2016 21:37)

    http://kwakuananse.de/http:/kwakuananse.de/archives/operation-ewigkeit/


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