Inkompatibilismus

Der Inkompatibilismus besagt, dass Determinismus und Willensfreiheit unvereinbar sind.

Das heißt: die Wahrheit des Determinismus schließt einen freien Willen notwendig aus und umgekehrt. Hieraus ergeben sich drei mögliche inkompatibilistische Grundpositionen:

- Libertarismus: geht von der Wahrheit der Willensfreiheit aus und verneint folglich den Determinismus.

- Harter Determinismus: geht von der Wahrheit des Determinismus aus und verneint folglich die Willensfreiheit.

- Freiheitspessimismus: hält sowohl den Determinismus als auch die Willensfreiheit für falsch.

Dieser Aufsatz wird v.a. von den zwei gängigsten Argumenten für den Harten Determinismus handeln. Den drei inkompatibilistischen Grundpositionen steht der Kompatibilismus entgegen, der Determinismus und Willensfreiheit prinzipiell für vereinbar hält.

Urheber des Bildrechts: Les Chatfield (Creative Commons)
Urheber des Bildrechts: Les Chatfield (Creative Commons)

„Unser Leben ist eine Linie auf der Oberfläche der Erde, die zu beschreiben

uns die Natur befiehlt und von der wir keinen Augenblick abzuweichen vermögen... Nichtsdestoweniger, trotz der Fesseln, durch die wir fortwährend gebunden sind, gibt man uns vor, wir seien frei.“

- Paul-Henry Thiry d'Holbach

1. Konsequenz-Argument

1.1. Das Argument

Das Konsequenzargument für den harten Determinismus wird bereits in der Antike von Cicero in De fato[1] diskutiert und auch von Immanuel Kant in der Kritik der praktischen Vernunft[2] und seiner Religionsschrift[3] akzeptiert. Präzise formuliert und formalisiert wurde es aber erst in der gegenwärtigen Diskussion durch den amerikanischen Philosophen Peter van Inwagen.[4][5]

Nehmen wir an, ein menschliches Subjekt verfüge über einen freien Willen, gdw. es seine Entscheidungen kontrollieren kann. Dann lautet das Konsequenzargument vereinfacht folgendermaßen:

(P1) Gegenwart und Zukunft (einschließlich unserer Handlungen und Entscheidungen) sind notwendige Konsequenzen der Vergangenheit und der geltenden Naturgesetze.

(P2) Menschliche Subjekte können weder die Vergangenheit noch die Naturgesetze kontrollieren.
(K1) Also können wir die notwendigen Konsequenzen aus der Vergangenheit und der geltenden Naturgesetze, darunter insbesondere unsere Handlungen und Entscheidungen, nicht kontrollieren.[6]

Die erste Prämisse folgt aus dem universalen Determinismus. Die zweite Prämisse ist zweiteilig: (P2i) Dass wir die Vergangenheit nicht ändern können, ist unkontrovers. (P2ii) Dass wir die Naturgesetze nicht ändern können, sollte auch klar sein, wenn man sich klar macht, was damit gemeint ist. Nach van Inwagen ist gemeint, dass wir ein Naturgesetz nicht falsch machen können ("render false"). Wir können zwar falsche Gesetzeshypothesen als falsch erweisen, aber wir können eine wahre Proposition (ein wirkliches Naturgesetz) niemals falsch machen. Wenn man jedoch beide allseits anerkannte Prämissen akzeptiert, scheint daraus fast zwangsläufig die Wahrheit der Konklusion und damit die Wahrheit des harten Determinismus zu folgen.[7] Dann steht bereits seit dem Urknall fest, dass ich diesen Text hier lesen und wie ich sterben werde.

1.2. Kritik am Konsequenz-Argument

Falls der Kompatibilist die beiden Prämissen akzeptiert[8], bleibt ihm immer noch übrig die Schlussregel anzugreifen. Eben dies haben verschiedene Kritiker getan. Sie halten das in Anspruch genommene Prinzip (P2) "Wenn p nicht unter unserer Kontrolle steht" und (P1) "wenn aus p notwendig q folgt", dann (K1) "steht auch q nicht unter unserer Kontrolle" für nicht-zwingend. In der Fachliteratur ist dieses Prinzip auch als "Regel ß" oder "Transferprinzip" bekannt. Es lässt sich einfachheitshalber auch als zusätzliche Prämisse auffassen:

(P3) Wenn ein menschliches Subjekt etwas nicht kontrollieren kann, kann es auch die notwendigen Konsequenzen daraus nicht kontrollieren.

Warum sollte (P3) falsch sein? Eine mögliche Kritik findet sich bei Thomas Grundmann[9]:Ein minimaler Begriff von Kontrolle muss beinhalten, dass die Zustände eines Objekts kausal verantwortlich sind für die kontrollierten Ereignisse. In diesem Sinne kontrolliert ein Thermostat das Heizungssystem. Wenn wir Kontrolle jedoch im Sinne von Ursächlichkeit verstehen, dann kann das Transferprinzip nicht gelten. Nehmen wir an, das Aufdrehen des Thermostatreglers verursache die Erwärmung des Heizkörpers. Wir wollen außerdem von der plausiblen Annahme ausgehen, dass in diesem Fall Ursache und Wirkung durch eine Kausalkette verbunden sind. Ein Glied in dieser Kette ist das Öffnen des Heizungsventils. Dieses Ereignis hat zweifellos keine kausale Kontrolle über seine eigene Ursache – das Aufdrehen des Reglers. Und es hat auch keine kausale Kontrolle über die Kausalgesetze, die dieses Aufdrehen des Reglers mit der Erwärmung des Heizkörpers verbinden. Das Transferprinzip würde also ausschließen, dass das Öffnen des Ventils die Erwärmung des Heizkörpers verursacht (kontrolliert). Dennoch ist ex hypothesi genau das der Fall: Die Vorgänger in der Kausalkette verursachen das Resultat nicht an den Zwischengliedern vorbei, sondern durch sie hindurch. Also gibt es zumindest einige Lesarten von "Kontrolle", für die das Transprinzip nicht zutrifft und für die (K1) nicht-zwingend ist.

Ein Inkompatibilist würde dem vermutlich entgegnen, dass in der Willensfreiheitsdebatte um eine andere Form von Kontrolle geht. Das Thermostat kontrolliere das Heizungsventil nicht, da es gar nicht anders kann, als es zu öffnen. Für den Inkompatibilist hat folglich jemand nur dann einen freien Willen, wenn er auch anders hätte entscheiden können als er es tatsächlich tat. Dem würden Kompatibilisten entgegenhalten, indem sie Anderskönnen konditional analyisieren: Ich hätte anders entscheiden können, wenn ich andere Gründe gehabt hätte. Der Kern der Debatte dreht sich also um die Frage, ob für "Kontrolle" ein Anderskönnen unter identischen Bedingungen (Inkompatibilisten) oder nur ein Anderskönnen unter anderen Bedingungen (Kompatibilisten) notwendig ist.

Ein weiterer Kritikpunkt am Konsequenz-Argument betrifft die Prämisse (P2), nach der wir allein die Vergangenheit nicht kontrollieren können. Der harte Determinist geht klassischerweise vom laplaceschen Determinismus aus, nach dem sowohl alle vergangenen, als auch alle gegenwärtigen und zukünftigen Weltzustände durch vollständig festgelegt sind (Zeitsymmetrie). Indem van Inwagen nur die Vergangenheit erwähnt, begrenzt er den Determinismus auf eine Annahme, über die dieser weit hinausgeht. Mehr noch: Er konterkariert den deterministischen Standpunkt, da die gegenwärtige Determiniertheit der Vergangenheit auch im Indeterminismus unumstritten ist. Dieser Missgriff ist allerdings weit verbreitet und findet sich zum Beispiel auch bei Kant, welcher den Determinismus nur deshalb als freiheitsgefährdend ansah, weil dann Handlungen "ihre bestimmende Gründe in der vorhergehenden Zeit haben (die mit dem, was sie in sich hält, nicht mehr in unserer Gewalt ist)."[10]

Laut Geert Keil täte Peter van Inwagen deshalb besser daran, (P2) ganz wegzulassen und die Freiheitsgefährdung allein auf den Determinismus zurückzuführen (P1). Schon allein, weil jede weitere Prämisse das Argument angreifbarer und somit potentiell schwächer macht. Es kann im Determinismus niemals etwas anderes geschehen als das Faktische, weder in der Vergangenheit, noch in der Gegenwart und auch nicht in der Zukunft, das ist das eigentliche starke Argument gegen die Freiheit und für den Inkompatibilismus.

2. Letzturheberschaft-Argument

2.1. Das Argument

Etliche Inkompatibilisten gehen davon aus, dass eine Person nur dann einen freien Willen besitzen kann, wenn sie der letztendlich verursachende Grund ihrer Entscheidungen ist. Von solch einer "Letzturheberschaft" spricht auch der Libertarier Robert Kane, für den "die Freiheit auf der Fähigkeit [beruht], die letzte Quelle und der Ursprung unserer eigenen Ziele und Absichten zu sein."[11] Aus dem Konsequenzargument ergibt sich jedoch, dass, wenn der Determinismus wahr ist, wir nicht Letzturheber unserer Entscheidungen und somit auch nicht willensfrei sind.

Der Freiheitsskeptiker Galen Strawson entwickelte hieraus ein Argument, nach dem die libertarische Idee der Letzturheberschaft in einen infiniten Regress führt: Um Letzturheber unserer Entscheidungen zu sein, müssen wir für die Wünsche und Gründe verantwortlich sein, die dieser Entscheidung zugrunde liegen. Und um Urheber dieser Wünsche und Gründe zu sein, müssen wir wiederum diese selbst wählen können, wir müssen aber auch die Prinzipien wählen können, nach denen wir unsere Wünsche und Gründe bestimmen, usw. usf. Kurzum: Um Letzturheber unserer Entscheidungen und Handlungen zu sein, müssen wir also deren letztendlichen Determinanten selbst wählen können, was aber unmöglich ist (Vgl. Konsequenzargument):

(P1) Um willensfrei oder verantwortlich sein zu können, muss eine Person letztendlich Ursache ihrer selbst sein (causa sui).

(P2) Es gibt keine Person, die die Ursache ihrer selbst ist.

(K1) Es gibt keine Person, die willensfrei oder verantwortlich ist.[12]

Die erste Prämisse folgt aus der Forderung nach Letzturheberschaft: Um Letzturheber der eigenen Entscheidungen sein zu können, muss man Urheber der eigenen Wünsche, Gründe, Prinzipien, und somit letztendlich der eigenen Person sein. Strawsons "Letzturheber-Argument" geht also davon aus, dass was eine Person tut, durch das bestimmt wird, was sie ist. Um frei und verantwortlich wählen zu können, was man tut, müsse man deshalb letztlich auch den eigenen Charakter wählen können. Das sei nach der zweiten Prämisse aber unmöglich, weshalb keine Person willensfrei oder verantwortlich sein kann.

Wie Strawson haben schon Friedrich Nietzsche und Arthur Schopenhauer die Willensfreiheit geleugnet, indem sie sie auf die Charakterwahl verschoben. Nach Schopenhauer ist "des Menschen Wille sein eigentliches Selbst, der wahre Kern seines Wesens [...] Daher ihn fragen, ob er auch anders wollen könnte, als er will, heißt ihn fragen, ob er auch wohl ein anderer sein könnte als er selbst".[13] Nietzsche vertritt eine sich aus mehreren Quellen speisende Freiheitsskepsis, deren Kohärenz umso fragwürdiger wird, je mehr Textstellen man hinzuzieht. Schopenhauer entwickelt am Ende seiner scharfen Freiheitskritik die positive Auffassung, dass man für seinen Charakter selbst Verantwortung trage.[14]

Auch Strawsons Argument scheint inhaltlich wieder äußert plausibel zu sein: Wenn ich einen Faktor nicht willentlich hervorbringen oder verhindern kann, bin ich auch nicht verantwortlich für diesen. Meine Entscheidungen kann ich im Determinismus nicht willentlich hervorbringen oder verhindern, da sie auf meinen Charakter und dieser wiederum auf Faktoren vor meiner Geburt beruhen. Deshalb bin ich nicht verantwortlich für meine Entscheidungen.

2.2. Kritik am Letzturheberschaft-Argument

Der Kompatibilist kann das Argument jedoch erneut formal kritisieren. Offenbar beruht es wieder auch auf einem Transferprinzip: Wenn wir nicht für q verantwortlich sind, und wenn p aus q folgt, dann sind wir (auch) für p nicht verantwortlich. Ein mögliches Gegenbeispiel: Die heutigen deutschen Staatsbürger haben historische Ereignisse wie den Kolonialismus nicht verursacht, trotzdem fühlen sich einige von ihnen verantwortlich für die daraus zu Teilen resultierende Lage in Afrika. Es gibt also q, die nicht von uns verursacht wurden, aus denen aber p's folgen, für die wir uns verantwortlich fühlen. Auch hier scheint es wieder von der Lesart von "Verantwortung" abzuhängen, ob dieser Schluss zwingend ist.

Wenn Willensfreiheit und Verantwortung voraussetzen, dass wir unsere Entscheidungen letztendlich selbst verursachen, führt das in ein Münchhausen-Trilemma: (i) Entweder unsere Entscheidungen beruhen auf Gründen, diese auf Prinzipien, usw. (infiniter Regress). (ii) Oder aber eine erste Wahl wird von einer Person getroffen, die selbst über keinerlei Wünsche und Entscheidungsprinzipien verfügt und deren Wahl deshalb nur völlig grundlos ausfallen kann (Dogmasetzung). (iii) Es gibt noch die dritte Möglichkeit, dass beispielsweise Charaktereigenschaften nicht nur Entscheidungen, sondern umgekehrt Entscheidungen auch Charaktereigenschaften verursachen (Zirkelschluss). Offenbar ist keine der drei nur möglichen Alternativen intellektuell befriedigend. Inkompatibilisten ziehen daraus den Schluss, dass die Idee der Letzturheberschaft und somit auch der Willensfreiheit inkohärent ist.

Kompatibilisten erwidern dem, dass es nicht plausibel ist anzunehmen, dass Willensfreiheit Letzturheberschaft und somit Grundlosigkeit erfordert: Es kann gar nicht anders sein, als dass wir schon mit einer beträchtlichen Zahl natürlicher Wünsche und Charaktereigenschaften auf die Welt kommen. Und es ist nicht besonders sinnvoll zu sagen, die Natur manipuliere uns dadurch oder mache uns dadurch unfrei, dass sie uns diese Wünsche und Charakterwünsche mit auf den Weg gibt. Unsere Freiheit beruht vielmehr gerade darauf, dass sich in uns Menschen im Laufe der Zeit die Fähigkeit entwickelt hat, uns unserer Wünsche und Charaktereigenschaften bewusst zu werden und über sie kritisch nachzudenken. So ist ein Entscheidungsmechanismus entstanden, der für unsere Willensfreiheit konstitutiv ist. Ein Wille ohne Wünsche, Prinzipien und Charakteristika wäre nicht frei, er wäre beliebig. So besagt es zumindest das Gegenargument der Kompatibilisten.

Weiterlesen im Blog:

3. Kritiken am Inkompatibilismus

Der Inkompatibilismus geht offensichtlich von drei notwendigen Bedingungen für Willensfreiheit aus: (1) Die Zukunft ist offen, d.h. im Weltverlauf gibt es zumindest einige Punkte, an denen meine Entscheidungen nicht die notwendigen Konsequenzen der Vergangenheit und Naturgesetze sind. Diese Bedingung geht aus dem Konsequenz-Argument hervor. (2) Meine Entscheidungen dürfen aber auch nicht vom Zufall abhängen. Diese Bedingung geht aus dem Zufallseinwand hervor. (3) Vielmehr muss ich selbst letztendliche Ursache meiner Entscheidungen sein, diese Bedingung geht aus dem Letzturheberschafts-Argument hervor. Inkompatibilistische Willensfreiheit sieht also so aus:

Wenn ich mich in einer bestimmten Situation S aus freien Stücken für A entscheide, dann setzt das dem Inkompatibilismus zufolge also voraus:

1. In dieser Situation ist nicht naturgesetzlich determiniert, dass ich mich für A entscheide; naturgesetzlich ist es genauso möglich, dass ich mich für B entscheide.
2. Die Entscheidung für A geschieht aber auch nicht zufällig, sie geht vielmehr kausal auf mich als den Handelnden zurück.
3. Dass ich mich für A entscheide, ist selbst nicht determiniert.

Da der harte Determinist aber von der Wahrheit des Determinismus überzeugt ist, hält er (1) und (2) für nicht gegeben und glaubt folglich auch nicht an Willensfreiheit. Der Libertarist dahingegen lehnt den Determinismus ab und hält damit an (1) und (2) und folglich auch an der Willensfreiheit fest. Beides, die harten Deterministen und die Libertarier, sind Inkompatibilisten, sie teilen also dieselbe Freiheitskonzeption. Dementsprechend werden gegen beide Lager auch ähnliche Einwände hervorgebracht:

Wolfgang Prinz spricht beispielsweise von den drei "metaphysischen Zumutungen" der inkompatibilistischen Freiheitskonzeption.[15] (1) Die erste Zumutung besteht darin, dass das Psychische nicht den Naturgesetzen unterliegt und unahbhängig vom Physischen ein "Cartesianisches Eigenleben" führt (Substanzdualismus). (2) Die zweite Zumutung beruht auf der Vorstellung, dass das Psychische in der Lage ist kausal auf das Physische einzuwirken (Mentale Verursachung). (3) Die dritte Zumutung gründet auf der Vorstellung, Subjekte könnten neue Kausalkette in die Welt setzen (Akteurskausalität). Aus alldem folgert Prinz, dass das Freiheitsbild des Inkompatibilisten eine naturwissenschaftliche Zumutung ist.

Ist es generell gerechtfertigt, dass gegen den harten Determinismus dieselben empirischen Argumente hervorgebracht werden wie gegen den Libertarismus? Ich bezweifle das. In der Willensfreiheitsdebatte geht es zunächst um die Frage was "Willensfreiheit" überhaupt bedeutet, also um Begriffsanalyse. Die Inkompatibilisten liefern auf diese Frage eine überzeugende Antwort, Alternativität unter denselben Umständen und Letzturheberschaft scheinen tatsächlich zu unserem normalsprachlichen Willensfreiheitsbegriff zu gehören. Als Zweites geht es dann um die ontologische Frage, ob es eine solche Form von Willensfreiheit gibt geben kann. Die allermeisten Kritiken gegen den Inkompatibilismus zielen auf diese Frage ab und behaupten, der vom Inkompatibilismus vertretene Willensfreiheitsbegriff sei naturwissenschaftlich oder logisch unmöglich. Diese Kritiken treffen dann aber nur den Libertarismus, denn nur er behauptet etwas anderes. Der harte Determinismus behauptet ja gerade, dass Willensfreiheit in unserer Welt nicht existent sein kann, und wird von den empirischen Argumenten gegen den Libertarismus wenn dann nur bestärkt.

Ich kenne daher keine treffenden Kritiken gegen den Inkompatibilismus per se. Er bietet einen überzeugenden Freiheitsbegriff und wenn man ihn erstmal akzeptiert, dann ergibt sich die Unvereinbarkeitsannahme analytisch: Inkompatibilistische Freiheit verlangt Alternativität unter denselben Bedingungen, Determinismus schließt diese per definitionem aus. Die Kritiken gegen den Inkompatibilismus beziehen sich nun entweder auf die ontologische Frage, damit treffen sie aber nur den Libertarismus. Oder sie rekurrieren auf die semantische Frage, die inkompatibilistische Freiheitsanalyse scheint mir jedoch zutreffend zu sein. Auf jeden Fall ist sie zutreffender als die kompatibilistische. Kompatibilistische Willensfreiheit beschreibt die, die wir in einer natürlichen Welt haben können, aber nicht die, die wir meinen, wenn wir von Willensfreiheit reden.

Einzelnachweise

[1] Cicero: Über das Schicksal, § 40.


[2] Immanuel Kant: Kritik der praktischen Vernunft A 169.


[3] Immanuel Kant: Religionsschrift B 58 Anm.


[4] Peter van Inwagen: An Essay on Free Will, S. 16; ausführlich: Kap. 3.


[5] Peter van Inwagen ist erstaunlicherweise Libertarier, trotzdem ist das Konsequenzargument ja ein Argument für den Inkompatibilismus. In der Sache glaubt van Inwagen, dass die Konklusion (K1) falsch ist und dass man daraus die Falschheit des Determinismus rückschließen kann. Sein Argument ist also eigentlich als reductio ad absurdum der Determinismusannahme gedacht.

 

[6] Peter van Inwagen: An Essay on Free Will, S. 16 und 56.

 

[7] Thomas Buchheim fasst dieses Argument wie folgt zusammen: "Wenn der Determinismus wahr ist, dann sind unsere Handlungen die Konsequenzen der Naturgesetze und von Ereignissen in ferner Vergangenheit. Doch steht nicht in unserer Macht, was geschah, bevor wir geboren wurden, und auch nicht in unserer Macht, wie die Naturgesetze beschaffen sind. Also stehen die Konsequenzen dieser beiden Dinge (zu denen auch unsere gegenwärtigen Handlungen gehören) nicht in unserer Macht." Vgl. Thomas Buchheim: Libertarischer Kompatibilismus, S. 36-37.

 

[8] Er geht qua Definition vom Determinismus aus und hält als Determinismus auch an der Faktizität der Vergangenheit fest.

 

[9] http://www.uni-tuebingen.de/fileadmin/Uni_Tuebingen/Fakultaeten/PhiloGeschichte/Dokumente/Downloads/veröffentlichungen/Willensfreiheit.pdf

 

[10] Immanuel Kant: Kritik der praktischen Vernunft A 169 (AA V, 94). Erst dieser "Prädeterminism" widerspreche der Freiheit, nicht schon der Determinismus als solcher.

 

[11] Ansgar Beckermann: Sind wir Gefangene unserer Neuronen?, S. 8.

 

[12] Galen Strawson: Freedom and Belief, S. 28f.

 

[13] Arthur Schopenhauer: Über die Freiheit des menschlichen Willens, S. 539.

 

[14] "Die Verantwortlichkeit, deren er sich bewusst ist, trifft […] im Grunde aber seinen Charakter: für diesen fühlt er sich verantwortlich. Und für diesen machen ihn auch die andern verantwortlich." (ebd., S. 618)

 

[15] Wolfgang Prinz: Freiheit oder Wissenschaft? (Vortrag)

 

Siehe auch

Stand: 2018

Kommentare: 8
  • #8

    ghovjnjv (Donnerstag, 08 September 2022 13:39)

    1

  • #7

    ghovjnjv (Donnerstag, 08 September 2022 10:44)

    1

  • #6

    ubaTaeCJ (Donnerstag, 12 August 2021 10:51)

    1

  • #5

    WissensWert (Donnerstag, 12 April 2018 12:41)

    Inkompatibilismus ist die entgegengesetzte Sicht, dass freier Wille und Determinismus inkompatibel sind. Die "pessimistische" Version, zuweilen "harter Determinismus" genannt, besagt, dass weder Determinismus noch Indeterminismus einen freien Willen zulassen. Nach Humes oben genannter Auffassung gibt es keinen freien Willen ohne Determinismus. Hingegen geht die inkompatibilistische Position davon aus, dass "freier Wille" sich auf echte (absolute, ultimative) alternative Möglichkeiten von Wünschen, Überzeugungen oder Handlungen bezieht und dass solche Möglichkeiten in kompatibilistischen Definitionen nicht vorkommen. Nur diese absolute Auffassung von Freiheit verträgt sich demnach mit der Vorstellung individueller Verantwortung. Kompatibilisten entgegnen, dass solche absoluten alternativen Möglichkeiten ihre Ursache nur im Zufall haben können, was die Verantwortlichkeit des Einzelnen verringere.

  • #4

    WissensWert (Mittwoch, 28 März 2018 21:07)

    Wenn man Freiheit und Determinismus für unvereinbar hält, muss geklärt werden, womit genau die Freiheitsannahme nicht vereinbar ist. Hier gibt es eine Reihe von Möglichkeiten: damit, dass alles in der Welt mit rechten Dingen zugeht? Damit, dass die Körperwelt kausal geschlossen ist? Dass Personen und ihre Handlungen Teil der natürlichen Welt sind? Dass das Kausalprinzip ausnahmslos gilt? Dass es neuronale Determinanten des Verhaltens und Entscheidens gibt? Dass der Weltverlauf Naturgesetzen unterliegt, die wir nicht abändern können? Dies sind viele Möglichkeiten, die mehrheitlich eine lose Verbindung zum Determinismus haben. Und die Antwort auf die Vereinbarkeitsfrage muss nicht in jedem Fall gleich ausfallen.

  • #3

    WissensWert (Montag, 26 März 2018 00:22)

    https://plato.stanford.edu/entries/incompatibilism-arguments/

  • #2

    WissensWert (Montag, 26 März 2018 00:21)

    http://www.iep.utm.edu/freewill/#H4

  • #1

    WissensWert (Sonntag, 25 März 2018 23:29)

    Von einigen Autoren wird die Freiheitsskepsis mit einer Zusatzthese verbunden: Die 'Illusionstheorien' (z.B. Smilansky, Wegner, Guckes) bezeichnen die Willensfreiheit nicht einfach als nichtexistent, sondern als systematische Täuschung, deren Wurzel es zu verstehen gelte. Nahmias nennt die Illusionsthese "willusionism". Smilansky vertritt zusätzlich die Auffassung, dass das Fortbestehen der Illusion des freien Willens befördert werden müsse, weil andernfalls ein moralisches Desaster drohe.

    https://www.sapereaudepls.de/2017/04/10/robowesen/


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