Die Ontologie fragt nach der numerischen Gleichheit und Verschiedenheit (Individuation) abtrakter oder empirischer Entitäten. Nicht wenige Philosophen koppeln die Möglichkeit einer Ontologie sogar vollständig an die Frage der Identität bzw. daran, ob sich Entitäten individuieren lassen.
"No entity without identity."
- Willard Van Orman Quine:
Theorien und Dinge, S. 130
Gleichartige Quantenobjekte lassen sich in vielen Fällen nicht individuieren. Sie besitzen dann zwar eine Kardinalität (Anzahl), aber keine Ordinalität (Individualität). Der mathematische Formalismus erlaubt in diesen Fällen zwar eine Angabe der Anzahl, aber keine Unterscheidung der Quantenobjekten in einem System.[1] Wissenschaftstheoretiker haben versucht, dies in ein didaktisches Bild zu packen: Die Geldmenge in meinem Geldbeutel ist durch die einzelnen Münzen leibniz-individuiert, derselbe Geldbetrag auf meinem Konto ist es nicht.[2]
In vielen Lehrbüchern ist deshalb auch von "identischen Teilchen" die Rede, was aber aus zwei Gründen problematisch ist: (1) Der Ausdruck "identisch" ist hier sicher zunächst naheliegend, denn in der Logik sind ein Objekt A und ein Objekt B genau dann identisch, wenn sie ununterscheidbar sind. Genau dieses Leibniz-Prinzip scheint in der Quantenmechanik aber verletzt zu sein! Nicht wenige Autoren fordern deshalb sogar eine Revision der Logik oder Mengenlehre[3]. (2) Der Ausdruck "Teilchen" setzt bereits eine bestimmte Quantenontologie voraus. Auch hier wollen wir uns neutral halten und sprechen deshalb von "ununterscheidbaren Quantenobjekten."
"Identity is utterly simple and unproblematic. Everything is identical to itself;
nothing is ever identical to anything else except itself; nothing can ever fail to be.
And there is never any problem about what makes two things identical;
two things never can be identical."
- David Lewis: On the Plurality of Worlds, S. 192-193
Es bieten sich drei Arten der Individuation quantenmechanischer Objekte an:
(1) Eigenschaften.
(2) raumzeitliche Lokalisation.
(3) irreduzible metaphysische Identität.
(1) Betrachten wir von nun an immer zwei Elementarobjekte. Diese Wahl hat den Vorteil, dass sie die Schwierigkeiten mit zusammengesetzten Quantenobjekten (wie z.B. Atomen) vermeidet und wir uns auf die Eigenschaften Ruhemasse, Ladung und Spin kaprizieren können. Die Individuation von zwei verschiedenartigen Elementarobjekten, wie etwa einem up-Quark und einem Photon, bereitet keine Schwierigkeiten, da sie sich mindestens hinsichtlich einer Elementareigenschaft unterscheiden müssen (siehe: Standardmodell).
(2) Was aber, wenn a und b gleichartig, also zum Beispiel beides Elektronen sind? In diesem Fall können wir versuchen die raumzeitliche Lokalisation als ein Unterscheidungsmerkmal heranzuziehen. Habe a beispielsweise denn Raumzeit-Trajektorie y(a) und b die davon verschiedene Raumzeit-Trajektorie y(b). Dann sind a und b verschieden, da sie sich in verschiedenen Raumzeitstellen aufhalten. Arthur Schopenhauer sprach deshalb im Anschluss an Immanuel Kant vom Raum als principium individuationis.
(3) Gleichartige Quantenobjekte können sich aber auch vollständig durchdringen, so dass sie fortan dieselbe Raumzeitstelle (bei ausgedehnten Objekten: Raumzeitregion) einnehmen.[2] Nicht wenige Interpretationen der Quantenmechanik wie etwa die Kopenhagener Deutung lehnen definitive Raumzeit-Trajektorien für Quantenobjekte deshalb grundsätzlich ab. Nennen wir das an der Stelle oder Region der "Durchdringung" entstehende Objekt von nun an "X". Welche Rechtfertigung hätten wir, von X zu sagen, dass es sich aus zwei Objekten a und b – und nicht aus einem oder eintausend Objekten - zusammensetzt? Wenn a und b gleichartige Elementarobjekte sind und wenn wir ausschließlich im Sinne von (2) individuieren, müssten wir strenggenommen argumentieren, dass a und b in dem Moment ihrer vollständigen Durchdringung ihre Identität verlieren und zum Objekt X verschmelzen.
Für gleichartige Quantenobjekte scheint deshalb weder eine Individuation im Sinne von (1) noch im Sinne von (2) möglich.
Dies wirft schwerwiegende Fragen auf:
[1] Holger Lyre u.a: Philosophie der Physik, S. 79 - 89
[2] French und Krause: Identity and Individuality in Modern Physics.
Es bleibt jedoch fraglich, ob man mathematische Verhältnisse auf die Welt abbilden darf und ob diese Analogie das wirkliche Wesen der Kardinalität erfasst.
[3] ebd.
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